Das Selbstbild ändern ?

 

 ' Steh auf und geh ! ' sagt Jesus fast wörtlich in mehreren Evangelien und spricht, neben körperlicher Heilung, besonders die geistige Befreiung für den Aufbruch in eine neue Lebensphase an. 
Unbestritten hängt das Prinzip des gesunden Lebens mit körperlicher Bewegung  zusammen. Wer dem widerspricht, ist keiner von uns. Allerdings sind unter den Hundertjährigen mehr Philosophen als Zehnkämpfer. Wer mehr nachdenkt, lebt also länger, könnte man denken. Vielleicht ist genau das der Mutterwitz jeder Therapie: alte Geschichten neu zu erzählen - und darin ein idealisiertes Selbstbild aufgeben, das unerreichbar ist.

Auch in der antiken Denkschule war die Erziehung mit geistigen Künsten neben gymnastischen Übungen die führende Idee, damit gesundes Leben mit moralischer Güte in schönen Körpern gelingt. Diese Form der Bildung von Persönlichkeit hat leider nicht nachhaltig gewirkt, wenn später der römische Satiriker Juvenal  das gierige Streben nach Reichtum, Macht und Ruhm um ihn herum so kommentierte: Man solle darum beten, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei. 

Zwar liegt die Akropolis in Trümmern und die römischen Bäder sind trocken, doch ihr Weltkulturerbe wirkt noch im deutschen Idealismus nach. So wies Johann Gottlieb Fichte  seine Studenten an, die Gesundheit des Körpers wie die Gesundheit der Seele wären ausschliessliche Bedingungen aller geistigen Entwicklung. Diese Anlage müsse allerdings durch ' Selbstthätigkeit ' gebraucht werden, sonst bliebe es bei der Bedingung. 

Wenn fahrradfahrende Denker wie Peter Sloterdijk  heute das selbsttätige Leben beobachten, fällt ihnen eine eher passive Naturdynamik auf: die Rückwirkung aller Bewegungen auf den Beweger, sogar aller Handlungen auf den Handler. Keine Bewegung entgehe dem Prinzip der rückwärtigen Prägung. Und was zurückwirkt, wirke auch voraus: Übung erzeuge das Übungstier. Wer regelmässig übt, dem werde sogar gesteigert gegeben. Alles, was wir tun, tue etwas mit uns und unserer Umwelt, und zwar mit jeder Wiederholung tiefer. Fähigkeiten verfeinern sich eben durch stetigen Gebrauch. Er selbst sei ein Velomane, sein Sport kein Ausgleich, sondern ein selbstformender Eigenwert, er würde ja auch nicht zum Ausgleich denken. 

Die Antwort, was man tun oder geschehen lassen muss, um sich anzupassen, zu erholen oder zu lernen, hängt sehr davon ab, wie wir die Körperwelt verstehen. Nicht jede Übungskultur ist automatisch sinnvoll und gern üben wir uns in eine Scheinwelt hinein. Oft üben wir auf etwas hin, das wir uns vorstellen - aber diese Vorstellung ist selbst eine Konstruktion. 
Traditionell sehen Leute von heute unseren Körper noch als mechanischen Bewegungsapparat, einem Skelett mit Muskeln darin, die Knochen als Hebel, das Muskelspiel als Motorik und das Gehirn als Steuerzentrale der Sensoren. Sind Muskeln schwach, werden Gelenke dem Verschleiss ausgesetzt und das führe zu Schmerz.
Dieses Bild ist nicht nur mechanistisch vereinfacht, sondern falsch. Es isoliert einzelne Muskelgruppen wie Einzelteile einer Maschine, reduziert die Bewegung auf willkürliche Abläufe und unterstellt eine direkte Beziehung zwischen Wille, Kraft und Schmerz.
Auch der Vergleich, das Gehirn arbeite wie eine Festplatte und Erinnerungen wandern in den Arbeitsspeicher, ist unsinnig, weil Erinnerungen wesentlich über Gefühle eingespeichert, abgerufen und dadurch subjektiviert werden. Was im nervösen, autonomen, reflexartigen, rückkoppelnden und sensitivierten Zusammenspiel zwischen Gehirnarealen, Rückenmark, Nerven, Muskeln, Gelenken, Faszien und der Blutversorgung sonst noch so passiert, bleibt dem mechanistischen Selbstbild gänzlich verborgen. 
Auch die Evolution ist nicht allein Motor menschlichen Lebens im Wettkampf um Überleben, sondern startet symbiotisch mit der Energie aus dem Leben der Anderen. Die Wechselwirkung mit Microorganismen welche praktisch für alle höheren Lebensformen wesentlich ist, zu denen neben Bakterien auch Viren und Pilze gehören, die eng mit ihrem Wirt zusammen arbeiten, bildet eine funktionelle Einheit, die für die Abwehr von Schäden und fremden Eindringlingen wichtig ist.
Die ständige Bereitschaft von Schutzmechanismen, welche nicht nur den ganzen Organismus betreffen, sondern auch seinen Inhaber betroffen machen, indem empfindliche Entzündungsreaktionen ausgelöst werden, bleibt in der reduzierten Betrachtung von Apparaten unterbelichtet.
Zwar ist ganze Mensch durch physische und psychische Schranken von der Umwelt abgegrenzt, bleibt aber mit ihr im stetigen Austausch. Wo der Mensch endet und wo die Umwelt beginnt, ist relativ und hängt von dem gewählten Bezugspunkt ab. Auf den kleinsten gemeinsamen Punkt gebracht, verändert sogar der Beobachter durch die Beobachtung das Objekt der Beobachtung. Schliesslich sind die Eigenschaften für den sozialen Gebrauch, wie Bewusstsein, Sprache, Moral und Kultur, erst durch das Zusammenspiel der einzelnen Elemente entstanden und sind nicht auf einzelne Teile rückführbar. Wir sind weder viel- noch zweigeteilt, wir haben nur Denkschwierigkeiten, die Einheit von Körper, Geist und Seele mit der Umwelt in Worte zu fassen.

 

Geht es nur darum, den Körper leistungsfähiger zu kriegen, hilft sicher das Training der motorischen Grundeigenschaften mit Übungen für Kraft, Ausdauer, Koordination, Schnelligkeit und Flexibilität, um schneller höher und weiter als der Nachbar zu kommen. Anlass ist stets der Wille des Betreibers. Angetrieben von der Lehre, den muskulären Apparat  derart mit starken Belastungen zu verausgaben, damit er seinen Vorrat an Kraft, über das bisherige Niveau hinaus, selbsttätig wieder auffüllen könne. Vorausgesetzt, das Geheimnis der Verausgabung, nämlich genügend Zeit für Erholung, werde eingeräumt.

Der sportliche  Mensch hört auf seinen Körper, kennt seine Grenzen, plant seine Pausen und geht über jede Schwelle oder greift zum Ball, ohne besonders nachzudenken. Ein Zehnkämpfer denkt noch zielstrebig voraus, wie in zwei Tagen 100 m Lauf, Weitsprung, Kugelstoßen, Hochsprung, 400 m Lauf, 110 m Hürdenlauf, Diskuswurf, Stabhochsprung, Speerwurf und 1500 m Lauf hintereinander zu leisten sind. 
Der unsportliche  Mensch findet das übertrieben und ungesund, bewundert jedoch den starken Athleten und die glatte Göttin um ihren gut funktionierenden Bewegungsapparat. Weil viel Sport wohl mehr Chancen und lange Haltbarkeit bringe. Der Alltagsmensch traut sich selbst weniger zu, lebt mehr im Moment und überlegt, wie das Aufstehen aus dem Bett, das Anziehen von Strümpfen, das Bücken nach Schnürsenkeln, das Greifen aus oberen Regalen, das Heben und Tragen von Kästen, das Aufrichten aus dem Sessel, das Gehen auf instabilen Untergründen, das Auf-und Absteigen von Treppen, das Tragen beim Gehen sowie das ewige Drehen und Wenden mit den gerosteten Gelenken gelingen kann. Er sieht den Rücken vor lauter Bandscheiben nicht mehr und glaubt, ein starker Rücken kenne keinen Schmerz. Als ob eine Bandscheibe durch Muskelkraft am Platz gehalten würde und der Körper nach dem mechanischen Modell einer Maschine  funktioniere. 

Der angepasste  Mensch macht aus dem, was früher natürlich war, dem Zeitgeist entsprechend ein Versprechen mit Lösungsansatz: er repariert abends im Fitnesstraining, was tagsüber seine Lebensweise kaputt macht und optimiert schleunigst, was die Gesellschaft fordert. Als Experte für die Anatomie des Körpers will er bewusst und intelligent dessen funktionale Kraft entwickeln und andere an seinem Beispiel zum Erfolg führen. Zwischen den Welten werden Kniebeugen, Kreuzheben, Liegestütze, Klimmzüge, Unterarmstütz, Trippeln, Ausfallschritte, Klettern, Rudern und Schulterdrücken so oft wiederholt, bis man sieht, was in ihm steckt. Der Weg ist das Ziel, Grenzen werden erweitert, denn Perfektion wird über Vielseitigkeit erreicht. Er bleibt fit, um glaubwürdig zu sein. Biologisch macht sein Einsatz nur dann Sinn, wenn nicht nur einige Fähigkeiten, sondern alle Funktionen  erhalten, verbessert und über die Gene weitergegeben werden.

Der achtsame  Mensch hält Schwäche für menschlich, lauscht auf tiefe Signale, die beim Spannen, Dehnen und Stellen von Muskeln, Sehnen und Gelenken entstehen. All diese einlaufenden Informationen werden ständig und blitzschnell an Gehirnzellen weitergeleitet, um wie ein Puzzle zusammengesetzt das Körperschema  zu bilden. Das Gehirn verarbeitet die unbewussten Muster  zu bewusstem Erleben, damit sein Inhaber handeln, den Bewegungen flüssig Kraft geben oder nehmen kann.
Das meiste vom inneren Reizverkehr bekommen wir gar nicht mit. Es hat auch noch niemand gesehen, wie ein physikalisches Signal als Botenstoff verkleidet in das Seelenleben springt und von dort wieder zurückhüpft. Trotzdem funktioniert die Sensomotorik, um zusammen mit den Sinnesreizen der Augen und Ohren, den wachen Mensch im stabilen Gleichgewicht zu halten. Um die fliessende Mitte zu finden, verbindet die östliche Denkweise seit je Atmung mit Bewegung, richtet sich auf zum Berg, beugt sich vor zum Hund, grüßt die wärmende Sonne, hebt den Rumpf zur Kobra, steht bereit wie ein Krieger, führt die eine Hand in den Himmel, sitzt auf den Fersen, stützt die Schulter zur Brücke, sitzt gedreht und legt sich aufgebahrt hin.
Die Sensibilität in der Tiefe, die es für jede Stellung im Raum braucht, wird von westlichen Fachleuten auch Propriozeption  genannt. Jene Eigenwahrnehmung bringt den ureigenen Sinn dafür, wo sich unser Körper befindet, wie unsere Gelenke stehen, wie stark unsere Muskeln gespannt sind, ohne dass wir hinsehen müssen, wie unser Platz auf der Erde gerade ist.

Ein kinästhetisch sensibler   Mensch verwandelt sein Gefühl lieber in Bewegung und nimmt den Körper als Kunstwerk und Pinsel zugleich. Dieser oft musikalisch Begabte verbindet beim Walzer die Eleganz mit Tradition, beim Tango Leidenschaft und Drama, beim Salsa Lebensfreude und Rhythmus, zeigt beim Foxtrott die Raffinesse der Gesellschaft, beim Rumba die Sinnlichkeit, beim Swing das Spiel mit dem Partner, im Ballett die Präzision und Ästhetik, beim Jazzdance den Ausdruck der Moderne, beim Flamenco das Temperament im Individuum und im Contemporary die emotionale Tiefe. Tänzer vermögen auch unter starker Belastung oder in jeder Drehung die Lage ihrer Körper im Raum präzise wahrzunehmen und feinste Unterschiede während des Sprungs einzuschätzen. Studien mit Zwillingen zeigen, dass genetische Einflüsse die Intensität der Eigenwahrnehmung bestimmen, allerdings macht Übung den Meister. Ob eine Bewegung als schön empfunden wird, hängt jedoch weniger von messbaren Merkmalen ab, als von subjektiver Wahrnehmung. Wie lange die Beine in der Luft waren oder der Rücken sich biegen liess, spielt keine Rolle. Es gibt kein Muster. Tanz ist eine Zeitkunst und jede Bewegung lebt aus dem Bezug zu der, die davor und danach kommt. Plötzliche Wechsel in der Dynamik, eine markante Haltung oder ein eindringlicher Ausdruck werden als besonders schön empfunden.

Der gutgläubige  Mensch bleibt letztlich allein auf der Strecke, wenn er sich in seinem Körper einfach nur tierisch gut fühlen will und im Alltag mit Schritt und Tritt nicht bis an die Grenzen geht. Denn andere Säugetiere gehen auch nur auf vier Füßen zur Nahrungssuche, warten, beobachten und verdauen im Stehen, fressen, picken oder weiden, schnüffeln in der Gegend herum, um Gefahren aufzuspüren, fliehen im Trab, oft zusammen in der Horde,  laufen, klettern und springen im Galopp über Hindernisse, und putzen und pflegen ihr Fell, begleitet von allerlei Lauten und Balzen im Revier. Fast alle Tiere kombinieren diese Bewegungsformen tagein und tagaus und passen sich gleitend, schwimmend, tauchend oder flatternd der Situation im Milieu entsprechend an. Ihre Impulse sind zwar klein, haben aber grosse Wirkung und dienen den instinktiven Trieben in alltäglichen Ereignissen. Tiere können sich nicht so lange auf etwas konzentrieren wie Menschen, auch Wettbewerbe mit Anmeldung sind ihnen fremd.

Der reitende  Mensch sitzt konzentriert mit Selbstzucht im Sattel, aufrecht und locker ohne zu klammern, mit Achtung vor der Kreatur sucht er Harmonie im Takt des Pferdes, sein Becken geht weich zu jeder Bewegung des Rückens und schwingt im gleichen Tempo mit. Sein Gehirn kennt gar keine Muskeln, Gelenke oder Faszien, sondern nur Muster von Bewegungen. Es erstellt ständig Vorhersagen, wie Bewegungen ablaufen sollten und gleicht diese auf dem Rücken der Pferde ab. Über Sitz, Beine und Zügel werden kleine Signale bemerkt und beantwortet. Ruhig, regelmäßig und symmetrisch geblieben, wird die nächste Bewegung gespürt, bevor sie passiert. Wiederholung übt den Einklang und die feine Abstimmung der eigenen Haltung und Spannung anzupassen. Vertrauen entsteht, dass man sich gegenseitig trägt und sich aufeinander verlassen kann. Die gleichmässige Atmung beruhigt beide, Reiter und Pferd. 

Anders als Tiere verfügt der kultivierte  Mensch über grosse Freiheiten, Bewegungen zu erfinden, die er bis zur Perfekion lernen kann. Zusammen mit der Fähigkeit, sich Werkzeuge auszudenken, gelingt es ihnen, Wettkämpfe zu veranstalten, die ihre besondere Kultur in der Natur ausmachen. Man sprintet oder läuft lange Strecken nach Zeit, wirft Kugeln hin und her, schwimmt in verschiedenen Lagen, turnt an Barren, Reck oder am Boden, kreuzt die Klingen nach festen Regeln, radelt im Kreis um die Wette, hüpft akrobatisch auf Trampolinen, kombiniert das Schießen mit den Skiern im Schnee, boarded auf Skatern im Kreis und umsegelt so manches Kap mit guter Hoffnung in die selbststeuernden Geräte. 

' Ich benutze das Fahrrad nicht, das mir mein Leibarzt dort hingestellt hat. ' verriet einst Joseph Ratzinger  seinem Biographen daheim im christlichen Rom.  ' Ich teile mir die Kräfte ein, die mir der Herr gegeben hat'. 
Der Mensch sei eingebettet in den Kosmos der Gesetze, wo Körper, Geist und Seele möglichst harmonisch sich zum Urgrund allen Daseins  verhalten. Anders als die Tiere, die als Teil der Schöpfung einen Eigenwert haben, sei der Mensch ausgestattet mit Geist und Wille und einer Würde, die jede Reduktion auf Biologie und Materialismus ausschliesst. Dadurch habe er den Auftrag, sich seiner eigenen Natur bewusst zu sein und verantwortlich die Natur und Tierwelt zu hüten, ohne sich selbst als Schöpfer seiner selbst zu sehen. 
Innerhalb der physikalischen Welt gibt es keine festen Bezugspunkte, wie die von Albert Einstein  formulierte Relativitätstheorie besage. Es bleibe unsere Festlegung, wenn wir einen Bezugspunkt nehmen, um von dort das Ganze zu messen versuchen, weil wir nur so überhaupt zu Ergebnissen gelangen. Aber die Festlegung könne immer auch anders erfolgen.
Das scheine auch den geistigen Kosmos in unseren Zeiten des Umbruchs zu beschreiben. Die Wahrheit als solche, der Bezugspunkt des Denkens, sei nicht mehr sichtbar. Es gäbe keine Richtungen in einer Welt ohne feste Messpunkte. Was wir als Richtung ansehen, beruhe nicht auf einem wahren Massstab, sondern auf unserer Entscheidung und letztlich darauf, was nützlich ist.
Wenn es um wirklichen Fortschritt gehe, damit um das Mitwissen von Wahrheit und Gewissen, sei jeder Mensch als Mensch gefordert, über das Können  hinaus, nach dem Sollen  zu fragen. Die Gesprächsfront verlaufe zwischen Naturwissenschaft und Philosophie, der Glaube bleibt aussen vor.

 

Es ist anders geschehen, als von den Priestern ursprünglich erzählt. Denn der Mensch kann an sich arbeiten, sich verbessern und sich verändern. Einerseits sind horizontale Spannungen zu überwinden, mit denen Menschen umgehen müssen, um in der hiesigen Welt klarzukommen - womit Anpassung gemeint ist. Nämlich unser Vermögen, das innere Gleichgewicht trotz wechselnder äusserer Bedingungen aufrecht zu erhalten, sowie die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, Muster zu speichern,  sich nach Verletzungen zu erholen sowie Angriffe abprallen zu lassen.
Andererseits hat fast jeder den Drang nach Höherem, will über sich hinauswachsen und ist bereit, diese vertikalen Spannungen zu überwinden. Womit der Unterschied nach oben, zwischen dem was man ist und dem was man sein könnte, gemeint ist.
Offenbar gibt es Obergrenzen: bereits Adam und Eva wollten selbst bestimmen, was gut und böse ist und stellten eigene Wünsche über die göttliche Ordnung. Der Biss von Eva in den Apfel vom Baum der Erkenntnis gilt als Erbsünde: in katholischer Tradition ein Fall von freigeistigem Hochmut und in protestantischer Sichtweise eine selbstbezogene Rebellion. Schliesslich werde nach Thomas von Aquin's Bewegungsargument  alles was bewegt wird, von einem anderen bewegt. Es könne aber nicht ins Unendliche so weitergehen. Also müsse es einen ersten unbewegten Beweger geben - und dieses höhere Wesen nennen alle Gott.

Dass die letzten Dinge bei Gott bleiben, ist nicht plausibel, denn die Erde ist kein Paradies. Mit dem Licht im All beginnt im biblischen Sinnfeld die Schöpfung. Dieselben Gesetze, die am Himmel gelten, finden allerdings auch auf der Erde statt. Formuliert in einer Sprache, die keinen Übersetzer braucht, der Mathematik. ' Gott ist nicht notwendig. ' findet Stephen Hawking, als Nachfolger von Isaak Newton  auf dem Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik durch Nachrechnen über die kurze Geschichte der Zeit heraus. 'Fortschritt sei messbar, denn sein Stuhl ist ja elektrisch'.
' Die Bibel ist kein Physikbuch, sie erklärt uns nicht den Himmel, sondern den Weg, wie man dahinkommt', wird dem Mitglied der päpstlichen Akademie der Wissenschaften im regelmässigen Austausch mitgeteilt.
Aber Hawkings war keiner, der aufgibt. Dass nicht nur einzelne Sterne, sondern das gesamte Weltgeschehen aus einer Singularität, Urknall genannt, hervorgangen ist, habe er zusammen mit Roger Penrose  mathematisch bewiesen. Die Information darüber was geschehen ist, sei in der Entropie von schwarzen Löchern erhalten.
Unser Universum und seine Naturgesetze bilden zwar ein äußerst fein abgestimmtes System, als ob alles nach vorbedachtem Plan auf unsere Existenz zugeschnitten sei. Eine Beobachtung, welche damals in der Schule von Athen der Aristoteles  schon lehrte. Aber die fein abgestimmten Gesetze der Natur, folgert Hawkings, erklären sogar viele Universen, ohne einen gütigen Schöpfer bemühen zu müssen, der ein einziges Universum zu unserem Nutzen erschuf. Seit Charles Darwin  und Wallace über die Entstehung der Arten durch Variation und Auslese berichteten, hätten wir zudem eine wissenschaftliche Theorie, wonach der scheinbar wundersame Entwurf der Lebensformen ohne Intervention eines höchsten Wesens entstanden sein könnte.

Ob unsere Fähigkeit zu glauben, zu hoffen zu lieben oder zu zweifeln zu denken und fühlen schon als Möglichkeit von Anfang an mit drin war oder sich später irgendwie als emergentes Phänomen entwickelt hat, bleibt rätselhaft. Nach allem, was man jetzt sonst noch so liest und hört, sind lebendige Wesen wie wir mehr als die Summe von zwangsläufigen Vorgängen, wahrscheinlich auch Urenkel von Bakterien. Stets offen für Neues durch Zufall, Symbiose und Notwendigkeit bauen wir uns selber ununterbrochen um, reparieren, regulieren und vervielfältigen uns selbst und erhalten ständig unsere innere Ordnung aufrecht gegen zerstörerische Kräfte der Umwelt: durch Austausch von Information, Stoffen  und Energie.
Neben der natürlichen Auslese angetrieben durch die Kräfte der Kooperation, stabil gehalten durch Vielfalt und ergänzt durch Symbiosen mit kleinsten Organismen, wächst in der Natur immer alles - aber nur für begrenzte Zeit. Ein Organismus wächst anfangs schnell, bis er voll entwickelt ist. Für den Lebensanfang ist die Aktivierung von Genen entscheidend, während für das Lebensende das Erlöschen von Hirnfunktionen kennzeichnend ist. Es handelt sich also nicht zwangsläufig um Wachstum von Ursachen und Wirkungen, sondern um schrittweise Entwicklungen - auf vielschichtigen Ebenen, durch verknüpfte Systeme, in ständigem Kontakt mit dem Leben der Anderen und gemeinsamer Umwelt.
Aufgrund der hohen Vernetzung sind viele Reaktionen nicht exakt vorhersehbar. Die mannigfaltigen Wechselwirkungen und erst recht die emergenten Phänomene lassen sich nicht vollständig erfassen und messen. Die Natur unserer Natur lässt sich weder von innen noch von aussen steuern, sondern lediglich innerhalb gewisser dynamischer Prinzipien, wie Hemmung und Erregung, regulieren. Dieses Prinzip ist in lebenden Wesen zwar allgegenwärtig, aber keine Leistung, die sich von zentraler Stelle aus organisieren lässt. Gesundheit kann niemand trainieren, nur ermöglichen. 
Dieser Perspektivwechsel hat tiefgreifende Folgen für das Verständnis von Bewegungen. So ist Übung immer ein Dialog mit dem Körper im Rahmen des Möglichen: wir können zum Neuen springen oder beim Alten sitzen bleiben, mehr Auswahl haben wir nicht. 
Wer hier bei uns mehr in der weltlichen Tradition steht, welche den Menschen nicht einmalig durch göttliche Absicht erschaffen, sondern passiv  aus niederen tierischen Vorfahren entwickelte Wesen sieht, die sich noch dazu als aktiv  sich selbst veränderndes Subjekt verstehen, sucht Orientierung in wiederholten Routinen. Wie Darwin-Maschinen, die ziellos in einer vor sich hinwerkelnden Evolution, durch Zufall und Notwendigkeit auf diesem Planeten entstanden sind, üben Leute von heute ihre Funktionen in einer städtischen Umgebung, die von Technik, Sitzen und künstlicher Unruhe geprägt ist, wo alltägliche Bewegungsabläufe weit von natürlichen Bewegungen entfernt sind.

Kein Löwe kräftigt abends zwischen zwei Bäumen wiederholt seine Muskeln um das tagsüber Versäumte nachzuholen und kein anderes Tier übt hechelnd seine Kondition, um den Fressfeinden besser zu entkommen. Die Tierwelt will nur so stark oder ausdauernd sein, wie es für ihr Überleben erforderlich ist. Wie jedes säugende Tier brauchen auch wir Menschen regelmäßige Belastung, um den Stoffwechsel der Zellen in der Waage zu halten. Als gelernte Ausdauerjäger können wir lange Strecken gehen oder laufen, was für das Jagen und Sammeln in der Frühzeit entscheidend war.

Nun ist unser Lebensstil nicht mehr direkt an biologische Notwendigkeiten zur Nahrungssuche gebunden. Kaum jemand hockt sich nach längerer Anstrengung noch hin, um die Erholung aktiv zu gestalten. Fraglich ist, ob wir zuück zum Leben der Wilden sollen oder ganz anders vorbeugen können, denn wir leben zwischen den Welten. Wir wissen von Anfang und Ende - und das macht Falten.
Faltungen zeigen Naturwissenschaftlern, wie diverse Funktionen sich über Raum und Zeit hinweg überlagern, verstärken oder abschwächen, woraus eine neue Form entsteht. Mit der physikalischen Sprache ist nun die Technik bei uns eingewandert und Teil unseres Wesens. Hier bei uns sind mehr die Finger aktiv und halten Handy und Auto mobil. Die Nacht wird zum Tag erleuchtet und die Fenster bleiben zu. Was stressigen Lärm abhält, das Wissen über Thermoskannen verfeinert und Energiepunkte bringt. Auch das Essen ist luftdicht und keimfrei verpackt. Moderne Menschen zuckern gern nach, gehen nicht viel mehr als 5000 Schritte am Tag, nehmen Aufzüge statt Treppen, um pünktlich vor die Rechner hinter dem Bildschirm zu kommen. Wo die ehemals natürlichen Bewegungsformen einfach ausgesessen werden.
Die Nutzung moderner Medien aktiviert nicht die gleichen Nervenzellen wie der Gebrauch von Büchern und Heften. Digitale Prozeduren takten an den Schnittstellen nun das, was uns über das Tierische hinaus nicht nur psychosozial betrifft, sondern auch am eigenen Leibe betroffen macht.

Bisher beeindruckte uns nichts mehr als der, mit dem wir es gerade zu tun haben. Wir konnten das, was wir wahrnehmen, auch begreifen, denn jeder Gedanke und jedes Gefühl richtete sich bewusst auf das Objekt und seine zeitgleichen Wellen. Nun sind durch schnelle Technik meist ferne Ereignisse in unsere direkte Nähe gerückt. Auf vieles, was nun von weit weg auf uns eindringt, können wir zwar reagieren, aber nichts daran ändern. Es entsteht ein leerer Wahrnehmungsraum, wo Denken und Fühlen vom Handeln entkoppelt ist, was viele Bewegungen ungerichtet hinterlässt.

Unsere Kinder leben nicht mehr mit Tieren zusammen, sind nicht mehr auf Feldern sondern in der Stadt unterwegs und haben sich in der virtuellen Welt eingerichtet. Sie brauchen Orte und Worte nicht lange selbst suchen, die kommen schnell. Im Netz ist für jeden jederzeit das gesamte Wissen geöffnet. Die Macht daraus ist nicht weg, die haben nur andere. Nämlich die, die den Überfluss  erkennen, verstehen und strategisch für sich nutzen. Die Zeichen der Zeit sind datenbasiert und nur zugänglich für den, der den Code kennt, aber verschlossen für alle anderen. Einer nennt sein Kind schon X AE A-12.

Inmitten von Bergen und Tälern, Wäldern und Seen haben Menschen nicht mehr gottergeben das irdische Jammertal durchwandert, sondern sich ihres Verstandes reichlich bedient und neue Lebensräume aus Glas, Metall, Beton, Plastik und seltenen Erden geschaffen. In der Funktion als homo oeconomicus nutzen wir Werkzeuge und Waffen, bauen Schiffe für Handel und Räder für Wandel, verbreiten Wissen in gedruckten Büchern und Schriften, holen Brennstoffe von Rückständen der belebten Natur aus der Erde und spalten Atome der unbelebten Natur für Fortschritt und Zerstörung gleichermassen.
Wir geben ordentlich Gas in Fahrzeugen, feuern aus allen Rohren, informieren in Bildern, heilen mit Pillen und Prothesen und basteln jetzt an Sensoren und Genen, um unsere Umwelt wie gefühlt zu ertasten und nach Bedarf zu ersetzen. Die Grenze zwischen uns und unseren Werkzeugen verschwimmt. Man nennt das Wissenschaft, Fortschritt und Kultur.
Heute machen die von Menschen erdachten Materialien mehr Masse auf der Erde aus, als alle lebenden Organismen zusammen. Die reine Vernunft erwies sich erstaunlich gut darin, alles was sich sonst noch so selbsttätig bewegt zu verdrängen und dafür unreine Berge von Müll zu produzieren. Anstatt der Erde nur soviel zu entnehmen, wie mit der Zeit nachwachsen kann. Was schwer ist, denn in unserer Lebensspanne sind dreimal mehr hungrige Menschen nachgewachsen, auf nunmehr 8,16 Milliarden Leute auf der Erde von heute, die für bezahlte Arbeit nachsuchen und Supermärkte vorfinden.

Leute wie wir wollen nicht nur in der künstlichen Lebenswelt, sondern auch im Alter gesund und attraktiv bleiben, Verletzungen und Verspannungen vermeiden und unser Wohlbefinden steigern. Gewisse Optimierer zeigen ungewissen Erwachsenen gern, wo es lang geht. Obwohl das Versprechen von glatter Göttin und starkem Kerl weder sicher noch direkt eingelöst werden kann. Die Rede von survival of the fittest  meint nicht etwa, wie schön, kraftvoll, schnell und stark ein Mitmensch im Wettbewerb der Evolution sein muss, sondern wie gut wir in die äusseren Bedingungen der Umwelt passen. 

Offenbar fühlen sich Menschen von Natur aus unvollständig, bewegen sich im Geiste und wollen keine Tiere sein, sondern sich durch Übungskultur zu dem formen, was sie werden können. Anders als Tiere, die weitgehend durch instinktive Triebe geleitet werden, können wir wohl gar nicht anders, als willentlich zu üben und durch Wiederholungen dazulernen.
Könnten Tiere mit Vernunft sinnvoll reflektieren wie wir, würden sie denken, warum wir uns nicht wie die Tiere bewegen. Und einfach in frischer Luft schleichen, rennen, springen, krabbeln, klettern, heben, werfen, rollen und tragen, was seit Millionen Jahren auch im menschlichen Bewegungssinn verankert ist. Stattdessen abends in dichten Räumen in Geräte zu pressen, um Bewegungen zu simulieren, die wir den ganzen Tag vermieden haben.

 

Um den menschlichen Körper als erklärbare, regelhaft funktionierende Systeme zu verstehen, haben Philosophen einst das Maschinenmodell  erfunden, sich mühsam aus der Falle wieder herausgedacht und die Trennung von Körper und Geist langsam überwunden.
Übersät von feinsten Nerven, kommt der kleine Mensch  doppeldeutig daher: einerseits ist der humunculus  die sensomotorische Karte des Körpers im Gehirn - ein verzerrtes Menschlein, mit wenig Rumpf und Gliedern, aber grossem Mund und Händen, das im Schema messbar zeigt, wie  Bewegung und Wahrnehmung im Gehirn organisiert sind. Ohne Bewusstsein, ohne Seele, rein funktional.
Andererseits ist der humunculus das philosophische Erscheinungsbild eines Geistes in der Maschine, - nämlich das alte, aber trügerische Gefühl, in uns sässe noch ein Beobachter, der denkt, fühlt und alle Muskeln und Gelenke lenkt, - ein künstliches Menschlein also, das " Ich " zu sich sagt und dem man Haltung und Übungen beibringen kann. 
Aber wahrscheinlich ist alles eins: unsere Wahrnehmung, unsere Bewegungen und unsere Gliederschmerzen sind verkörperte Sinnesleistungen von Schaltkreisen auf systematisch folgenden Ebenen. Wir haben wohl nur Denkschwierigkeiten, die Einheit von Körper, Geist und Seele in Worte zu fassen.
niemand bleibt der, der er ist. Kein Mensch, weder Philosoph noch Zehnkämpfer, kann seine Gewohnheiten mit einem einfachen Willensentschluss ändern. Dazu braucht es neben Verstand noch das gute Gefühl. Bewegliche Menschen spüren das: Sport muss Spass machen.
Sportliche Menschen spüren das. Sie haben im Alltag nie mechanistisch gedacht und waren schon immer und selbstverständlich mit Intuition, Körpergefühl und ganzheitlicher Wahrnehmung unterwegs. Ausgerechnet in der Medizin und Therapie hält sich das Modell des Körpers als Maschine, die repariert werden kann, am hartnäckigsten. Denn die strategische Trennung von Körper und Geist die Seele der Kirche überlassen und dadurch den medizinischen Fortschritt erst ermöglicht. Doch sobald durch Stimmungen, Sorgen, Stress und Streiterei das Herz rast, die Verdauung entgleitet, der Muskel verspannt und der Schmerz sich als Entzündung ausweitet, kann das mechanische Modell die Symptome nicht erklären. Eine Maschine hat keine psychosozialen Probleme und verhält sich nicht danach. 
Im Medizinstudium werden Störungen der Funktion nicht ausreichend gedanklich behandelt. Der Student solle gefälligst sein Physikum machen, bei seinen Organen bleiben und sich nicht in Gedanken verlieren. Nach herrschender Auffassung folgen orthopädische Funktionen besonders gern dem hölzernen Körperbild von einem Bewegungsapparat, dessen Gelenke nach Kräften von willfähigen Muskeln geführt werden. Welche jedoch, neben altersgemässem Verschleiss, durch mangelhafte oder monotone Benutzung ziemlich schwach oder überlastet seien. 
Von Störungen der Schutzfunktionen im Muskelskelett und ihren systemischen Auswirkungen haben viele Ärzte selbst kein tiefes Verständnis. Mit einer Hand auf der Tastatur und der anderen im Gummihandschuh lassen sich Störungen der Bewegungskontrolle weder ermitteln noch verstehen und schon gar nicht in technischen Verfahren wie Röntgen, Labor und MRT darstellen. Was ihre Legitimität im Auge mancher Ärzte und Patienten mindert. Obwohl jeder weiss, dass ein Säugling stirbt, wenn er nicht berührt wird.
Eine ausführliche Erklärung funktioneller Zusammenhänge braucht Zeit und Geduld, die im klinischen Alltag oft fehlt. Während in Medien und Werbung über spektakuläre Operationen oder neue Medikamente viel berichtet wird, finden komplexe funktionelle Störungen weniger Aufmerksamkeit. In einer knappen Erzählung arbeitet das Herz immer noch wie eine Pumpe, das Gehirn speichert wie eine Festplatte die Informationen über die Stellung der Glieder, die Gelenke verschleissen, wenn sie nicht geschmiert werden und letztlich dienen die Gene als Blaupause. Wer rastet, der rostet.
Für den Stress, den der Körper mit seinem Inhaber hat, fehlen noch die Worte. Wenn das Gefühl nicht so einen immense Bedeutung für das Überleben Offenbar haben wir Denkschwierigkeiten, die Einheit von Körper, Geist und Seele in ganze Sätze zu fassen. Dabei gilt in der täglichen Praxis längst: der Mensch ist die Sache selbst, so, wie er uns als Patient erscheint: tiefenverspannt, asymmetrisch verzogen und leicht entzündet. 
Sein kluges Gehirn kennt gar keine Muskeln, nur Muster von Bewegungen, als Ergebnis von vielschichtigen Wechselwirkungen und ihren fast zeitgleichen Schwingungen. In jeder Bewegung ist Antrieb, Wahrnehmung, Denken und Handeln auf das Feinste verkörpert. So im Soll kann niemand guten Gewissens seine Muskeln isoliert trainieren. Alles andere ist immer ganz und von selbst dabei.

 

 

Wenn wir Kulturwesen auf die Umwelt einwirken und sie technisch erstellen wollen, weisen wir ihnen Funktionen  zu, die einen bestimmten Zweck erfüllen sollen. In der künstlichen Welt  ist eine Funktion von vorn herein nach Plan klar definiert: Eine Maschine, ein Apparat oder ein Gerät soll ein Fahrzeug antreiben, ein Ventil den Druck regeln, eine App das Bankkonto für Überweisungen öffnen oder eine Prothese das Hüftgelenk wieder schmerzfrei kugeln lassen. Der gesamte Bewegungsapparat soll stützen, führen und dämpfen, das sei der Zweck. Dazu wird eine Kette von Befehlen in dem System der Nerven erzeugt. Konkret bedeutet dies, das elektrische Erregungsmuster in Kräfte, Geschwindigkeit und Winkel über eine Zeit und umgewandelt werden: Nervenzellen feuern, Muskeln kontrahieren, Glieder bewegen sich, Werkzeuge werden betätigt und der Erfolg wird überprüft. Wir nutzen zur Steuerung jeder bewussten Bewegung die Sinnesreize aus Muskeln, Gelenken und deren Schaltkreise um uns laufend zu korrigieren. Unterwegs verlassen wir uns auf Reflexe und reflexartige Reaktionen, die blitzschnell und automatisch auf der Ebene des Rückenmarks ablaufen und ohne nachzudenken die Gelenke schützen und aus der Gefahrenzone holen. 

 


Stets über motorische Fitness und mentale Stärke zu verfügen, braucht neben bewussten Einsatz von Muskeln auch unbewusste Kontrolle über Lage und Gleichgewicht, um zu vermitteln, wo die Gliedmassen gerade sind und wie sie sich bewegen. Denn jede Überlast könnte zu Schäden im Gewebe führen. Tatsächlich steuern Muskeln die Gelenke zum Teil langsam, logisch, bewusst, synchron und negativ rückkoppelnd, wenn man will und nicht gerade schläft, erschöpft, verwirrt oder verzogen ist. 
Wer mehr sieht, weiss wie ein lebendiger Organismus sich gegen jede Überlast wehrt und vorsorglich alarmierte Schutzmechanismen dazwischenfunken, um vor schädlichen Verletzungen im Gewebe zu warnen, damit wir die Bewegungen rechtzeitig anpassen. Schnell verkörpert sich mancher Schrecken: selbsttätig, reflexartig, positiv rückkoppelnd, unkontrolliert und grobmotorisch meist unbeachtet. Viele Gelenke sind dann tatsächlich nicht mehr so frei beweglich wie zuvor, aber noch völlig intakt. Nur durch gereizte Nerven, verschreckte Muskeln, gedrosselte Blutzufuhr und falsche Vorstellungen asymmetrisch verzogen, membranös verspannt, vielschichtig verklebt und letztlich fibrös versteift. Man muss sich von sich so einiges gefallen lassen. 

Zudem kennt unser Gehirn keine Muskeln, Gelenke, Sehnen oder Faszien, sondern nur Bewegungen. Bewegungen sind Muster von Reizen, die in unserem Gehirn beantwortet werden, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Wenn Muskelkraft oder Kontrolle eingeschränkt ist, können Schutzreaktionen vorliegen. Das Nervensystem bremst bestimmte Muskeln ab, etwa den Oberschenkelmuskel bei Knieschäden. Dies ist zunächst ein sinnvoller Schutz, kann aber zu lange anhalten. Es ist, als würde der Organismus eine Sicherung herausdrehen. Das feine Gitternetz aus Bindegewebe, die Faszien, wird weniger geschmeidig. In der Rückmeldung arbeiten die tiefen Rückenmuskeln nicht mehr optimal gegenläufig zusammen, woraus zusätzlich asymmetrische Verspannungsketten  von Kopf bis Fuß entstehen. Daraus entwickelt sich eine besondere Art der Reizflut: die feinen Nervenenden im Geweben setzen Schmerzchemie frei, was zu Schwellung und weiteren Entzündungsreaktionen führt. Das Gewebe wird überempfindlich und schlecht durchblutet.

 

Bei jeder Bewegung werden motorische Befehle vom Großhirn über absteigende Bahnen an die Muskeln weitergeleitet. Gleichzeitig werden über den Tiefensinn, Propriozeption  genannt, ständig Rückmeldungen über die Stellung der Gelenke gesendet. In dieser Eigenwahrnehmung sind Muskeln mit unseren Sinnen immer im Dialog. Wenn draussen Hindernisse im Weg liegen, prüfen drinnen Sensoren die Stellung der Gelenke, worauf wir mit passenden Bewegungen reagieren. Unser Gehirn erstellt permanent Modelle davon, wie unsere Bewegungen aussehen sollten. Bewegungen sind also Muster von Reizen, die von unserem Gehirn beantwortet werden. Jedes Gehirn vergleicht auf seine Weise alte Vorhersagen mit den aktuellen Rückmeldungen auf Schritt und Tritt. Bei Abweichungen passt das Gehirn die Steuerung der Bewegung an. Dieses ständige Vergleichen, Sensomotorik genannt, hilft uns flüssige und stimmige Bewegungen zu schaffen, um heil durch den Tag kommen.
Wenn etwas nicht mehr so rund läuft wie bisher, fragen wir in der lebendigen Welt  ebenso, welchen Zweck ein Muskelskelett  hat. Wir können aber auch danach fragen, wer den Plan für die Schaltkreise gemacht hat, damit das Zusammenspiel von Wirbelgelenken, Bandscheiben, Nerven, Muskeln und Faszien genügend Halt und Form für den Rücken gibt, gleichzeitig Bewegung ermöglicht und dabei Energie sowohl produziert als auch speichert. 
 

 

Die anatomischen Körperteile sind bestens organisiert, werden stets auf das Feinste reguliert und letztlich angepasst weitergegeben. Nichts steht absolut fest, sondern alles erfüllt seine Aufgabe innerhalb eine bestimmten Zusammenhangs. Aber diese Aufgabe ist nicht absolut, sondern abhängig vom Umfeld und der Situation, in welcher wir uns hier und jetzt gerade befinden. In Muskeln, Sehnen, Gelenkkapseln und den bindegewebigen Hüllen sitzen verteilt spezialisierte Rezeptoren, welche Länge und Dehnung der Muskeln melden, Spannung der Sehnen registrieren, Stellung, Richtung und Geschwindigkeit erfassen sowie Druck, Zug und Gewebespannung bestimmen. Diese Melder senden dauernd Informationen über ' wo bin ich? wie stehe ich ? wie schnell bewege ich mich? wieviel Kraft wirkt? ' ins Rückenmark und Gehirn. Im Gegensatz zu einem Sensor in einer Maschine, der nur den Zustand abliest, geschieht in dieser sensiblen Rückmeldung aus der Tiefe etwas Besonderes: Sensoren regulieren, während sie melden und verändern sofort die Situation, die sie messen. Dieselbe Gelenkstellung wird je nach Belastung, Ermüdung oder Untergrund jeweils anders beurteilt. Ihre Schaltkreise, mit den sie miteinander verbunden sind, lernen, indem sie ihre Schwellenwerte verändern und passen so ihre Empfindlichkeit an. Sie sind nie fertig, selbst im vermeintlichen Stillstand laufen winzige Korrekturen ab. 
Diese Sensibilität in der Tiefe, die Propriozeption, erfüllt dabei keine festgelegte Aufgabe wie ein Sensor in einer Maschine. Diese Funktion ist keine Funktion nach Plan, sondern eine Funktion , die relativ  zum Dialog ist, wie ein ständiges Selbstgespräch zwischen den Gliedmaßen, Rückenmark, Gehirn und der gegenwärtigen Situation. Sie ermöglicht durch ihre plastische Veränderung, dass der Körper nicht  wie eine Maschine nach festem Programm arbeitet, sondern in jeder Situation fähig ist, sich sich selbsttätig zu regulieren  und anzupassen.
Die Schaltkreise dafür, zwischen Gewebe, Rückenmark und Gehirn, sind keine starren Verdrahtungen, sondern lebendige Netzwerke, die sich durch Gebrauch, Erfahrung und aktuelle Anforderungen ständig neu organisieren und speichern. Genau das ist der relative  Charakter der biologischen Funktionen, der von dem Kontext, nämlich unserer Beobachtung und Bewertung zu einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Ort abhängt.   

 

Das System, welches der Propriozeption dazwischenfunkt, ist die Nozizeption. Begrifflich abgeleitet von Noxe, der Schaden, dient das nozizeptive Sinnessystem dazu, Reize oder Zustände zu erkennen, welche aktuelle Gefahren für den Körper darstellen. Man spricht von noxischen Reizen, wenn diese unangenehm empfunden und als Schmerz wahrgenommen werden. Übersät von feinsten Nervenfasern kommt der Mensch als aufrecht gehendes Gefühlsorgan daher. Alle Gewebe und Organe, außer Leber und Gehirn, sind mit feinen Nervenenden, den Nozizeptoren, versorgt, die im engeren Sinne dazu in der Lage sind, noxische Reize zu erkennen, auf das Gewebe einwirken und sogar wegenihrer hohen Intensität und destruktiven Natur das Gewebe schädigen können.  Sein Gehirn erhält ständig Informationen darüber, welche Vorgänge an der Hautoberfläche, im Muskelskelett und in allen Organen ablaufen. Die Nozizeption ist eine unspezifische Funktion des Nervensystems, denn sie ist nicht präzise lokalisierbar. Anders als die Propriozeption, jener tiefe Lagesinn, der uns genau meldet, dass das Knie um etwa Grad gebeugt ist, meldet die Nozizeption nur, dass irgendwo in der Region ein Schaden droht. Dabei unterscheidet das nozizeptive System in seiner Übertragung der Reize, vom peripheren Gewebe einlaufend in das Rückenmark auf dem Weg zum Gehirn und absteigend zurück zum Gewebe, nicht fein zwischen Muskel, Gelenk, Faszie, Nerv, Bandscheibe oder Meniscus. Denn das Schmerzsystem soll nicht informieren, sondern alarmieren. Trotzem reagiert die Nozizeption wie ihre große Schwester, das Immunsystem, mit Schutzverhalten, indem schon vorsorglich die Muskelsteuerung gezielt verändert wird.
Die Schmerzreize aus zuviel Druck, Quetschung, Zerrung, starke Hitze oder Kälte oder aus chemischen Stoffen von Säuren oder Entzündungen, hemmen und erregen die Schaltkreise für Nervenimpulse, was das Gleichgewicht der Muskelsteuerung aktiv verändert. Nicht willkürlich wie die Muskelsteuerung, auch nicht blitzschnell und unwillkürlich wie die Reflexe, sondern reflexartig als Körperschutz.
Im weiteren Sinne seien Nozizeptoren dazu befähigt, Störungen der Funktion und sogar Immunabläufe zu erkennen, die zu Entzündungen führen. Eine wesentliches Element in den Nervenzellen  sind die Ionenkanäle, die durch die mechanische, thermische oder chemische Signale geöffnet werden können. Sie dienen der Aufnahme von Reizen in den feinen Enden ihrer langen Fasern, den Axonen, um elektrische Information in Form von Aktionspotentialen fortzuleiten und auf Nervenzellen im Rückenmark und Hirnstamm zu übertragen.
Diese feinen Sensoren an den Nervenenden sind aber nicht nur in der Lage die tatsächlichen oder vermeintlichen Schäden zu melden, sondern auch zu sezernieren, dass heißt Substanzen auszuschütten, welche umgehend Heilungsabläufe im betroffenen Gewebe aktivieren. Über die örtliche Immunreaktion und Bildung von Abbauprodukten führt, wie Physiologen wie Hans Georg Schaible  berichten, der Beginn der langsamen Sensitivierung der Nozizeptoren. Dass die Heilungschemie selbst die Nozizeptoren in dem Gewebe empfindlicher machen, ist eine feine, aber sehr bedeutende Funktion in der Peripherie, weil dadurch die Ionenkanäle empfindlicher gemacht werden und durch diese Sensitivierung die Grundlage für entzündliche Erkrankungen geschaffen wird. Die Sensitivierung ist also eine wichtige Eigenschaft der Nozizeptoren. Allerdings besitzen Nozizeptoren nicht nur Kanäle, die zur Sensitivierung führen, sondern irritieren auch Rezeptoren, deren Aktivierung zur Herabsetzung der Sensibilität führt. Somit kann der Körper selbst, durch seine zahlreichen Funktionen zur Hemmung und Erregung gegenläufiger Abläufe, der Stimulation von Nozizeptoren entgegenwirken. 
Das meiste vom Reizverkehr bekommen wir gar nicht mit. Einfache Reflexe werden über das Rückenmark sofort erledigt. Alles andere geschieht über eine Kaskade von kooperativen, konkurrierenden, kritischen, kippenden und kollektiven, also komplexen Vorgängen, welche, wenn überhaupt, am Ende fast zeitgleich wahrgenommen werden. Kleinere Lücken in der Wahrnehmung oder schräge Stellungen werden unbemerkt ausgeglichen. Sodass wir erst dann etwas merken, wenn Schmerzen auftreten. 

Denn Nozizeption ist nicht gleich Schmerz, sondern nur die Meldung einer Gefahr, mehr die Schmerzentstehung als die Schmerzverarbeitung. Das unangenehme Gefühl von Schmerz ist die bewusste Erfahrung, die das Gehirn daraus macht und zu einem Zeitpunkt T2 anders ausfallen kann als zum Zeitpunkt T1. Dazwischen kann einiges in Bewegung geraten.Dazwischen kam einiges in Bewegung geraten. Was dem einen bereits unerträglich erscheint, hat den anderen nicht nennenswert beeindruckt. Der eine hält den Stich für gefährlich, der andere achtet mehr auf  Druck. Der nächste denkt es wird schon wieder und die meisten haben so ihre Erfahrungen damit. Stress hat jeder, Zeit niemand und Angst vor Verschlimmerung treibt viele um. Das unangenehme Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben, kann besonders belastend sein. Daher wird die Wahrnehmung von Schmerz unter verschiedenen Umständen anders ausfallen. Zwischen dem Moment, wo im Körper ein Schmerzsignal entsteht, und dem Moment, wo wir Schmerz bewusst empfinden, passiert eine vielschichtige Verschaltung auf den Reizwegen vom Gewebe über das Rückenmark bis zum Gehirn, wo dort die Reizflut verarbeitet und das feine Spiel zwischen Hemmung und Erregung auf jeder Ebene reguliert wird.

Gesundheit merkt man erst, wenn sie fehlt. Ihr Wert ist kein Produkt eines perfekt progammierten Bewegungsapparates, sondern ein fortlaufendes Geschehen, das in jedem Augenblick durch friedlichen Austausch von Stoffen, Energie und Information mit der Umwelt neu geschaffen werden muss. Mit Umwelt ist nicht nur das tote Zeugs gemeint, dass überall herumliegt, sondern auch unserer Wahrnehmungsraum zwischen den bindegewebigen Hüllen der Organe drinnen und unserer sozialen Horde da drausssen, deren Bewegungen wir eben noch so bemerken. Diese objektive Welt besteht aus Atomen und Molekülen, energetischen Schwingungen und Gewichten. Kein vernünftiger Mensch nimmt jedoch Atome oder elektromagnetische Wellen wahr, sondern Töne, Farben, Bewegungen oder Schmerzen, die so in der realen Welt nicht existieren. Das bedeutet, dass wir über mechanistische Funktionen verfügen, die aus messbar physikalischen Reizen unsere Wahrnehmungen formen, womit wir die objektive Welt subjektiv empfinden. Gesundes Leben geschieht nicht, weil wir es wollen, sondern weil unsere Fähigkeiten, auf Sinnesreize angemessen zu reagieren, um uns trotz wechselnder Bedingungen zu erhalten, zu verbessern  und in Genen versteckt mit gutem Gefühl weitergeben zu können, das sollen. 

Lautlos, zudem mit beiden Armen des vegetativen Nervensystems  gut vernetzt, versucht der gesamte Organismus ständig, trotz wechselnder äusserer Bedingungen, das Fliessgleichgewicht seiner Funktionen durch gegenläufige Reaktionen bestmöglich auszugleichen. Diese selbstregulative Kompetenz, die Homöostase, nutzt ausschließlich autonome Mittel für einen gesunden Zweck. Nichts wird bewusst gesteuert, sondern alle Vorgänge beruhen auf molekularen, zellulären und physiologischen Mechanismen. Dabei gibt es keine Hierarchie und das Gehirn ist nicht der Chef, sondern als Teil einer symbiotischen  Beziehung um Ausgleich zwischen Zellen und Microben bemüht, die überall in der Biosphäre darauf aus sind, gemeinsam Neues zu schaffen.
Auch neuronale Netzwerke, welche die Muskelspannung und die Schmerzreize verschalten, lernen schnell und passen sich an.
Der Mechanismus der Anpassung, die Plastizität, ist sensibel für neue oder ähnliche Situationen, um bereit für ein verändertes Umfeld zu sein, komme was da wolle.
Sobald auch noch unsere Resilienz, also die Fähigkeit für Erholung und die Gabe, mit Stress, Belastungen oder Verletzungen umzugehen, durch alltägliche, bedrohliche, fehlende oder falsche Sinnesreize gestört wird, kann es im Verlauf zur Entgleisung von zunächst gut gemeinten Schutzreaktionen kommen. Fehlanpassung im Selbstbild entsteht, an die wir uns entweder gewöhnen oder gesteigert reagieren können.
Unsere Grundfähigkeiten zur Selbstregulation, zum Lernen, zur Musterbildung, zur Anpassung und zur Erholung sind ureigene Eigenschaften, die jedoch nicht machbar oder willentlich herstellbar, sondern nutzbar sind. Weil sie sich indirekt und nur auf Anforderungen der Realität hin selbsttätig entwickeln. Homöostase ist nicht bewusst zugänglich, arbeitet negativ rückkoppelnd und braucht nur ihre Bedingungen. Plastizität reagiert nicht wie wir wollen, sondern positiv rückkoppelnd auf Reize der Umwelt. Resilienz ist das Ergebnis dieser Rückwirkungen und aus realer Bewährung entstanden. Und Kohärenz  fühlt sich nur gut an, wenn es auf allen Ebenen unserer Biosphäre stimmig passt und wir meinen, wir schaffen das. Denn als Besonderheit bekam der Mensch noch Sprache und Kultur hinzu, um Gedanken, wie solche von Jürgen Habermas, in ganze Sätze zu fassen: - wenn unser Gefühl nicht so wichtig für das Überleben wäre, hätte die Evolution sich dieses lästigen Aufwandes schon längst entledigt.
 

 
 

Sobald Schadreize in die Eigenwahrnehmung von der Stellung der Gliedmaßen funken, wird alle Selbstbilder gestört. Die sogenannte Nozizeption ist keine Sinneswahrnehmung mehr, sondern ein biologisches Alarmverhalten, welches die Sinnesreize überlagert. Dadurch verschiebt sich das ursprüngliche Selbstbild des eigenen Körpers - das Gehirn merkt, dasss irgendwo Gefahr droht und läst, zunächst auf der Ebene des Rückenmarks Schutzmechanismen aus, wie die bewusste oder unbewusste Schonung des betroffenen Körperteils. Das Gitternetz der bindegewebigen Hüllen, die Faszien, ziehen mit. Diese Schutzmechanismen sind für kurzzeitige Krisen entwickelt, aber nicht für die chronischen Belastungen unsere technisierten Welt.

Egal, wie man sich sieht, als sein eigener Datenlieferamt oder als Handelnder in seinem Resonanzraum: wer trainiert, tut so als ob der Ernstfall bevorsteht, - sei es um vor dem Nachbarn zu fliehen, um das Revier zu kämpfen oder als Erster zur Paarung zu kommen. Training setze den Simulanten in die Welt und drücke ihm den Stempel des eigenen Tuns auf.  Oft hindern versteckte Bestätigungsfehler zu erkennen, was ausser dem Nachbarn nun wirklich der Ernstfall im  ' Urgrund des Daseins  ' sein soll. Aus naturwissenschaftlicher Sicht hat bewegtes Leben das Ziel, den Organismus zu erhalten, zu verbessern und die in den Zellen gefaltete Information an die Umwelt und die nächste Generation weiterzugeben. Um verschiedene lebendige Gebilde hervorzubringen, ohne dafür einen übernatürlichen Schöpfer bemühen zu müssen. Das zentrale Dogma, so Francis Crick, sei die Biologie der Moleküle, welche Baustein für Baustein die genetische Information auf die Proteine überträgt. Sogar die Freuden und Leiden der Menschen, ihre Erinnerungen, ihre Ziele, ihr Sinn für ihre eigene Identität und Freiheit des Willens, bei all dem handele es sich nur um das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und dazugehörigen Molekülen. 

 

Offenbar fühlen sich Menschen von Natur aus unvollständig, bewegen sich im Geiste und wollen keine Tiere sein, sondern sich durch Übungskultur zu dem formen, was sie werden können. Anders als Tiere, die weitgehend durch instinktive Triebe geleitet werden, können wir wohl gar nicht anders, als willentlich zu üben und durch Wiederholungen dazulernen.
Könnten Tiere mit Vernunft sinnvoll reflektieren wie wir, würden sie denken, warum wir uns nicht wie die Tiere bewegen. Und einfach in frischer Luft schleichen, rennen, springen, krabbeln, klettern, heben, werfen, rollen und tragen, was seit Millionen Jahren auch im menschlichen Bewegungssinn verankert ist. Stattdessen abends in dichten Räumen in Geräte zu pressen, um Bewegungen zu simulieren, die wir den ganzen Tag vermieden haben.

 

Nach herrschender Auffassung folgen orthopädische Funktionen gern dem hölzernen Körperbild von einem mechanischen Bewegungsapparat,  dessen Gelenke nach Kräften von willfähigen Muskeln geführt werden. Welche jedoch, neben altersgemässer Abnutzung durch mangelhafte oder monotone Bewegungen ziemlich schwach oder überlastet seien. Tatsächlich steuern Muskeln die Gelenke zum Teil langsam, logisch, bewusst, synchron, konzentriert und negativ rückkoppelnd, wenn man will und nicht gerade schläft, erschöpft, verwirrt oder verzogen ist. Denn schnell verkörpert sich mancher Schrecken: selbsttätig, reflexartig, unkontrolliert und grobmotorisch meist unbeachtet. Viele Gelenke sind dann wirklich nicht nehr so frei beweglich wie zuvor, aber noch völlig intakt. Nur durch gereizte Nerven, verschreckte Muskeln, verzerrte Hüllen, feine Entzündungen, saures Milieu, gedrosselte Blutzufuhr und falsche Vorstellungen asymmetrisch verzogen, membranös verspannt, vielschichtig verklebt und letztlich fibrös versteift. Das ist bedrohlich, ungewiss und soll nicht sein.
 

Inzwischen werden dem gesamten Muskel-Faszien-Skelett wichtige Aufgaben, sowohl für die motorische Bewegung im Raum, als auch für die zeitlich sichernde Schonfunktion nach tatsächlichen, aber auch vermeintlichen Schadreizen zugeschrieben. Faszien sind keine trägen Hüllen, die Muskeln und Organen einen mechanischen Halt geben, sondern ein reichhaltiges Gitternetz mit Millionen von feinen Nervenenden, dass an allen Bewegungen und Entzündungen engagiert beteiligt ist. Jede feine Änderung des inneren oder äusseren Milieus gilt bereits als Stimulus, wenn diese irgendeine Änderung von Druck und Zug im Gewebe hervorruft. Wie bei allen nervösen Impulsen aktiviert schon ein kurzer Nervenkitzel allerlei Schutzreaktionen, während ständiger Reiz sogar zu anhaltender Fehlregulation führt. Jede Störung in einem Bereich wirkt sich früher oder später auf den ganzen Körper aus. Schutzreaktionen am Muskelskelett haben sich weltweit verdoppelt und nehmen in Entwicklungsländern rasant zu. Im öffentlichen Dienst, Verwaltung und Erziehung gibt es, den Kostenträgern zufolge, mehr Fehltage wegen psychischer und muskuloskelettaler Erkrankungen, als in anderen Berufen. Wer seelisch leidet, spürt den Rücken wohl stärker, wobei Frauen von Natur aus anders auf Stress antworten. Frauen von heute haben höhere Ansprüche an sich selbst, verarbeiten Konflikte und Krankheiten mit Nahestehenden empfindlicher, verziehen sich muskulär leichter, entzünden sich feingeweblich schneller, suchen häufiger professionelle Hilfe und erhalten fast doppelt so viel Gelenkersatz wie gleichalte Männer. Zahlreiche belastbare Studien bestätigen, dass Frauen häufiger und stärker unter Schlafstörungen leiden. Auch ihr Köperfett-Anteil ist, unabhängig davon ob sie adipös sind oder nicht, wesentlich höher als bei Männern. Unabhängig vom Geschlecht, spielt die erhöhe Energiezufuhr durch hochverarbeitete Lebensmittel, wie Wurst, Süssigkeiten und Fertiggerichte, eine zehnmal grössere Rolle als der geringere Energieverbrauch durch Mangel an Bewegung.

 

- Die Frage, was man selbst tun kann oder geschehen lassen muss, um die Prognose zu ändern, ist mit dem Zweifel verbunden, ob unser Drang nach Bewegung noch authentisch ist, wenn wir in einer künstlichen Umwelt leben, die sich fundamental von der natürlichen Umwelt unterscheidet, in der wir uns evolutionär wie die Tiere entwickelt haben. Millionen von Menschen sind ständig erreichbar, haben viele Termine und technische Ansprüche an sich selbst, passen sich den normierten Stühlen an, richten ihre Schlafgewohnheiten nach Bildschirmzeiten aus, lassen ihre Bewegungen von Verkehrssystemen und Maschinenparks im Sitzen diktieren und ihren raren Vorrat an Aufmerksamkeit den algorithmischen Taktungen folgen.

Viele meinen schon, wir müssen ehrlich werden und uns von der masslosen Überheblichkeit lösen, die auserwählten lebendigen Wesen zu sein, nur weil wir von Anfang und Ende wissen, unser Handeln grundsätzlich bestimmen und mit dieser Vernunft so mächtig und gefährlich sind. 
Den Organismus muss niemand dabei schützen, das kann der selber. Wir brauchen uns nur vor uns selbst zu schützen, denn unser scheinbar vernünftiger Anspruch hinter der hohen Stirn stehe in Gegensatz zu unserer kümmerlich verzogenen Statur als Säugetier. Es gibt genug Hinweise auf eine gesteigerte Aktivität der sensiblen Schmerzfühler, den Nocizeptoren, im Gewebe. In jedem Fall ist ein verändertes Schmerzmuster mit chronischen Entzündungen und Gewebeschäden die Folge einer gestörten Regulation der angeborenen Abwehrmechanismen. Die Bewegungsmuster werden dadurch rückkoppelnd verändert. Die starre Zeit vor dem Bildschirm verändert unsere Schmerzschwellen und die ständige Reizüberflutung macht sensibler und das Nervengeflecht reaktiver. Die Schwellen der Nocizeptoren sinken bei dauernder Nutzung technischer Geräte. Der Technik-Nacken ist mehr als nur ein Haltungsschaden oder sophistischer Begriff, er verändert neuronale Kreisläufe kangfristig bis hoch zum Genabruf.
Umgekehrt kann Bewegung die Wahrnehmung von Schmerz modulieren. Es handelt sich allerdings um verschiedene Regelkreise, weshalb sich auch ein Bewegungstalent vom Kaliber eines Nurejew nicht eeinfach aus einer gestörten Regulation heraustanzen  und kein Modellathlet wie Arnold Schwarzenegger drückt seine Dysfunktionen auf einer Bank weg. Es ist einfach nicht wahr, dass gezielts Krafttraining den Ausgleich der Dysfunktionen schafft. Wahr ist nur die Wahrnehmung, dass Training am Gerät durch Ausschüttung von Hormonen die Schmerzverarbeitung moduliert, aber nicht die Schmerzebtstehung über Nervenpfade im Gewebe. Man passt sich an Geräte an, an sonst gar nichts. Wer immer noch meint, Schmerz sei Bitten der Muskelzelle um reine Kraft, wird abgeholt. 
Der Schlüssel liegt in dem Mitwissen für natürliche Bewegungen, für  erholsamen Schlaf, für zuckerarme Ernährung und für einen stressarmen Alltag. die technischen Umgebungen an die menschlichen Grundbedürfnisse und biologischen Zeitzyklen anpassen und nicht umgekehrt. Dazu braucht es neben dem Mitwissen der dynamischen Mechanismen des Körpers noch das Mitgefühl für seine Grenzen. Manche haben schon eingesehen, dass der Körper nicht nur zum Essen, Trinken und Befriedigung von Bedürfnissen dient, sondern seine Weisheit in sich hat und dabei heimlich spottet über die Illusion, man müsse immer etwas kräftig tun.
Natürlich drängt uns nichts zurück zum Leben der Wilden, aber zurück zu einer Ebene, wo nicht die neuronale Verwirrung der künstlichen Welt, sondern die belebte Natur das Mass der Dinge sein soll  und nicht das, was technisch möglich sein kann, das Maß des Tuns bestimmt.

 

Wie jedes Lebewesen funktionieren wir wie ein beobachtendes System, das seine Bedürfnisse und sein Verhalten im Austausch mit der Umwelt in Form bringen muss, wenn es überleben will. Ständig nehmen wir Stoffe, Energie und Informationen auf und geben sie entwertet wieder ab. Auf jede Überlast reagieren wir mit sensitiven  Schutzmechanismen. Funktionsstörungen entstehen, die nicht nur die Reaktion auf einfache mechanische Druck und Zugbelastungen sind, sondern auch als eine Nebenwirkung auf ein zunehmend hybrides Habitat verstanden werden können. Das Muskelskelett reagiert auf chronische Überlastung, sei es durch einseitige Haltung, Stress oder monotone Bewegung mit einer Art defensiver Faltung: Muskelgruppen verspannen dauerhaft, um Gelenke und Segmente zu stabilisieren. Faszien verkleben und verkürzen sich, un belastete Bereiche zu schienen und Bewegungsmuster vereinfachen sich auf Notfallprogramme. Diese uralten Schutzmechanismen sind für kurzzetige Krisen entwickelt und nicht für chronische Strapazen unserer technisierten Welt.

Das Prinzip des gesunden Lebens steht oft in Verbindung mit körperlicher Bewegung.  Wenn Systeme mehr sind als die Summe ihrer Teile und der Mensch sich als Einheit aus Körper, Geist und Seele begreift, dann stehen keine Muskeln im Vordergrund, sondern die molekularen Funktionen und deren Bewegungen. Zwar wird das Detailwissen wird immer genauer, aber das Gesamtsystem bleibt komplex auf Ebenen und Krisen. Als Person steht der Mensch mitten in seinem Wahrnehmungsraum, erlebt sich selbst begrenzt und betrachtet seine physische Gestalt unbegrenzt. Ebenen sind miteinander vernetzt und Krisen, die auf einer Ebene entstehen, wirken sich damit auf das Gesamtsystem aus. Mit Bewegung ist ist nicht nur die grobe Körperbewegung gemeint, sondern das dynamische Geschehen auf allen Ebenen des Organismus.
- die physische Ebene umfasst das Muskelskelett, was im mechanischer Vorstellung noch als Bewegungsapparat betrachtet wird. Innerhalb der Organe und Gewebe bewegt sich der Blutfluss und Kontraktionen.Transportvorgänge und Zellteilung finden in den Zellen statt. Atomare Bewegungen werden führen zu Vibrationen und Verschiebungen von Elektronen. Die molekulare Bewegung reguliert biochemische Prozesse, Energieversorgung und Informationsübertragung, während zelluläre Bewegung die Funktionen wie Transport und Kommunikation zwischen Geweben und Organen steuert. Ohne diese Bewegungen können keine körperlichen Bewegungen oder Wahrnehmungen stattfinden.
Im Sinne der Hierarchie des Gesamtsystems Mensch bildet die molekulare Bewegung die Basis, auf der alle Bewegungen aufgebaut sind, auch Gruppendynamik und gesellschaftliche Strömungen. Das gesunde Leben hängt von den Grundelement Energie mit ATP und Wärme, Stoffen, wie Wasser; Nährstoffe und Ionen sowie Information, wie genetische Codes und der Signalübertragung zwischen den Zellen ab.

 

Die Wahrnehmung  von Körpersignalen ist für uns ebenso wenig auffällig, wie für Fische das Wasser. Die einfachsten und offensichtlichen Tatsachen sind wohl schwer zu vermitteln, auch wenn sie in jeder Beziehung eine wichtige Bedeutung haben.
 

- Dem jedem geläufigen, aber vielseitig gedeuteten Gefühl " Schmerz " als einer subjektiven Wahrnehmung wird als biologische Matrix die Nozizeption gegenübergestellt. Unter Noziception  versteht man alle Vorgänge auf den Nervenbahnen, welche der tatsächlichen oder nur drohenden Erkennung von chemischen, mechanischen und temperaturbedingten Schadreizen dienen, sowie die Einleitung von Schmerzreaktionen im Muskelskelett bewirken. Feine Nervenenden in oberflächlichen Hüllen und tiefen Übergängen des Bewegungsgerüstes , die Noziceptoren, bilden ein Frühwarnsystem, das in manchem Augenblick gern schreckhaft erstarrt. Die auf Erregung spezialisierten Schmerzfühler senden nach Umschaltung im Rückenmark ihre Impulse zentral an das Gehirn und lösen von dort sowohl Schmerzempfinden, als auch reflexartige Reaktionen aus. Der akuten Gewebereaktion liegt meist eine mechanische Ursache wie zuviel Druck, Zug, feine Entzündung, saures Gewebe oder Hitze und Kälte zugrunde. Chronischer Schmerz hat auch psychosoziale Gründe. Dazwischen löst ein stressiger Tag, schlechter Schlaf, vieles Sitzen und andere gewöhnlich nervigen Erlebnisse gern empfindliche Schübe. Einmal in kritischer Phase ungünstig erlebt, verdrängt und nicht vergessen, verhallen manche " Zweitschläge " nicht, sondern verstärken sich mehr oder weniger gravierend zum Echo.

 

- Es gibt leider keine erkennbaren Biomarker für die Störung der Funktionen im Muskelskelett. Aber funktionell sind Reaktionen immer dann, wenn keine strukturelle Schäden in Nerven oder Geweben erkennbar sind. Der einzige Marker, der ein wenig Evidenz zeigt, ist das Schmerzgefühl. Der gefühlte Charakter von Schmerz am Muskelskelett wird von den dre großen Erscheinungsbildern bestimmt.
Zum einen der neuropathische Schmerz, hervorgerufen durch eine tatsächlich traumatische, entzündliche oder toxische Schädigung der Nervenstränge im peripheren Verlauf, im Geflecht, an der Wurzel oder innerhalb der zentralen Nerven von Rückenmark und Gehirn. Beim neuropathischen Schmerz kribbelt und sticht es unangenehm im Versorgungsgebiet der geschädigten Nerven. Ameisenlaufen, spontanes Kribbeln, Brennen, Taubheit und einschießende Schmerzattacken sind dafür typische Symptome.
Beim noziceptivem Schmerz  feuern Noziceptoren überall im Gewebe, überfallen ein Gelenk krampfartig, worauf es sogleich mit Schonstellung antwortet und bestimmte Bewegungen oberflächlich hell oder in der Tiefe bohrend oder dumpf empfindlich einschränkt. Die schlechte örtliche Bestimmung, die starke Tendenz zur selbstgesetzten Übertragung und das reißende, krampfende oder drückende Temperament ist in Ruhe oft schwer zu ertragen. Bei jeder Bewegung schwindet die übermäßige Mißempfindung häufig. Im Gegensatz zum Nervenschmerz sind hier die Nervensysteme weitgehend intakt, jedoch auf ihren feinen Übermittlungspfaden hocherregt.
Beim noziplastischen Schmerz besteht das verstärkt unangenehme Gefühl auch ohne Reizung des Rezeptors, durch verzerrte Wahrnehmung des Körpers und Verlust der Kontrolle über seine Grenzen. Diese Schmerzen sind oft weit verbreitet, nicht klar lokalisierbar, manchmal intensiver als durch die sichbare Schädigung. Häufig begleitet durch Müdigkeit und Schlafstörungen. Berührung, Lärm oder Licht wirken sehr störend. Man kramt in seinem Wortschatz, um verständlich zu wirken, aber für den Stress, den der Körper mit seinem Inhaber hat, fehlen noch die Worte.
 

 

 - Sowohl Schmerz als auch Bewegung sind Muster, die in unserem Gehirn beantwortet werden, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Bei jeder Bewegung werden motorische Befehle vom Cortex über absteigende Bahnen an die Muskeln weitergeleitet. Gleichzeitig werden über den Tiefensinn ständig Rückmeldungen über die Stellung der Gelenke gesendet. Unterwegs sind Muskeln ständig mit unseren Sinnen im Dialog. Wenn draussen Hindernisse im Weg liegen, prüfen drinnen Sensoren die Stellung der Gelenke, worauf wir mit passenden Bewegungen reagieren. Ganz oben erstellt unser Gehirn permanent Modelle davon, wie unsere Bewegungen aussehen sollten. Es vergleicht alte Vorhersagen mit den aktuellen Rückmeldungen auf Schritt und Tritt. Bei Abweichungen passt das Gehirn die Steuerung der Bewegung an. Dieses ständige Vergleichen, Sensomotorik genannt, hilft uns flüssige und stimmige Bewegungen zu schaffen, um heil durch den Tag kommen. 
Schmerz dagegen beinhaltet nicht nur die reine Signalübertragung von Schmerzrezeptoren in den peripheren Geweben, sondern darüber hinaus auch kognitive und emotionale Bewertungen, die zudem zu einem Zeitpunkt T2 anders ausfallen, als zum Zeitpunkt T1. Dazwischen kam einiges in Bewegung.
Was dem einen bereits unerträglich erscheint, hat den anderen nicht nennenswert beeindruckt. Der eine hält den Stich für gefährlich, der andere achtet mehr auf  Druck. Der nächste denkt es wird schon wieder und die meisten haben so ihre Erfahrungen damit. Stress hat jeder, Zeit niemand und Angst vor Verschlimmerung treibt viele um. Das unangenehme Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben, kann besonders belastend sein. Daher wird die Wahrnehmung von Schmerz unter verschiedenen Umständen anders ausfallen.

 

Es gibt genug Hinweise auf eine gesteigerte Aktivität der sensiblen Schmerzfühler im Gewebe. In jedem Fall ist ein verändertes Schmerzmuster mit chronischen Entzündungen und Gewebeschäden die Folge einer gestörten Regulation der angeborenen Abwehrmechanismen. Auch Bewegungsmuster werden dadurch verändert. Die starre Zeit vor dem Bildschirm verändert unsere Schmerzschwellen und die ständige Reizüberflutung macht sensibler und das Nervensystem reaktiver. Die Schwellen der Noziceptoren sinken bei dauernder Nutzung technischer Geräte. Der Technik-Nacken ist mehr als nur ein Haltungsschaden, er verändert neuronale Kreisläufe langfristig bis hoch zum Genabruf.
Umgekehrt kann Bewegung die Wahrnehmung von Schmerz modulieren. Es handelt sich allerdings im verschiedene Regelkreise, deshalb kann sich auch ein Bewegungstalent vom Kaliber eines Nurejew nicht einfach aus gestörter Regulation heraustanzen und kein Modellathlet wie Schwarzenegger drückt seine Dysfunktion auf einer Bank weg. Der Leistungssportler kennt ohnehin mehr Physio-Therapeuten als der Zuschauer. Auch seine Muskeln sind nicht schwach, sondern hemmt und erregt in gestörter Funktion. Es ist nicht wahr, dass gezieltes Krafttraining den Ausgleich schafft. Wahr ist nur die Wahrnehmung, dass Training am Gerät die Schmerz-Verarbeitung moduliert, nicht die Schmerz-Entstehung über Nervenbahnen im Gewebe. Man passt sich gezielt an Geräte an, an sonst gar nichts.
Der Ausgleich gelingt eher in der restlichen Natur und einfachen Bewegungen beim Gehen, Schwimmen und Tanzen, um die Körpergrenzen auszuloten. Der Schlüssel liegt in der Bewusstheit: nicht was wir nutzen, sondern wie  wir uns nutzen. 

 

Altersbedingte Grenzen sind nicht verhandelbar, denn Muskeln reagieren nach biologischen Gesetzen, nicht nach dem freien Willen.  Säuglinge bestehen zu 80 % aus Wasser, bewegen sich ständig daneben und winden sich fast aus unseren Händen. Nerven, Muskeln und Knochen erwachen, ja der gesamte Stoffwechsel für das Bindegewebsgerüst ist bei den egozentrischen Kleinen in rasanter Entwicklung. Die noch unkontrollierten Bewegungen sind wichtig für die Bildung neuer Nervenverbindungen, die passende Koordination und Wahrnehmung der Umwelt. Erst nach der Schulzeit sind die Fugen geschlossen, die Muskeln erwachsen und die Knochen dicht. 
Die Besiedelung mit Microorganismen beginnt während der Geburt. Drei Jahre später tummeln sich mehr Microben im Darm und sonstwo, als Körperzellen zusammen und helfen dabei, gesund zu bleiben und Entzündungen zu vermeiden.
Etwa zwei Drittel des Wassers ist ausserhalb der Zellen des Bindegewebes an grosse Moleküle gebunden, welche die Räume füllen und wie ein Gel für die Elastizität sorgen. Bei einer Verletzung nehmen diese so viel Wasser auf, wie sie können und dehnen sich entsprechend übermäßig aus. Bei einer Vordehnung im Gitternetz der Faszien, wie es bei einer Knöchelverstauchung geschieht, wird die Schwellung gleich genutzt, um das Gelenk zu entlasten. Die Aufnahme der viskös wässerigen Flüssigkeit geschieht durch Sog aus der Grundsubstanz und nicht durch Wasserdruck von außen, sodass es nichts nützt, mehr zu trinken.

- Kaum sind die Kinder aus dem Haus, wird das Leben zur Aufgabe. Ältere Leute haben nur noch zu 50 % Wasser im bindegewebigen Speicher, sind dementsprechend zähflüssig, bleiben länger sitzen und bewegen sich gern in Erinnerungen, während ihr bisher so biegsames Bewegungsgerüst so etwas wie Dauerstress mit Druck, Zug, Blutarmut und Entzündungaltern erlebt. Bei älteren Menschen nimmt die lebenslange Fähigkeit sich anzupassen und zu verändern ab und viele Verknüpfungen sind bereits standardisiert. Da weniger neue motorische Fähigkeiten erlernt werden müssen, ist der Bewegungsdrang geringer. Auch die Vielfalt unserer nützlichen Begleiter, der Microben, nimmt ab, dafür bekommen die schädlichen Bakterien mehr Platz. Diese Veränderungen werden mit dem Entzündungen der Alterskrankheiten in Verbindung gebracht. Wozu auch Faktoren wie gewohnte Ernährung, allerlei Medikamente und gestresste Immunabwehr beitragen.
Wenn wir altern, verändert sich nicht nur die Muskelmasse, sondern auch die Balance unseres internen Ökosystems. Chronische Schmerzen entstehen oft nicht durch einfache mechanische Defekte, sondern durch vielfältige Rückkopplungen und Wechselwirkungen zwischen Bindegewebe, Nervensystem, Blutfluss und Microbiom.
Neben verminderter Bewegungskraft infolge von weniger Motoneuronen und Muskelfasern, überproportionaler Fettinfiltration, vermehrter Fibrosierung im durch feingewebliche Entzündung verklebten Gitternetz der Faszien, nimmt der Elastizitätsverlust und die Viskosität bei höherem Lebensalter noch zu. Zugleich verschlechtert sich die Wahrnehmung der meist verzogenen Gelenkpositionen und in der Summe wird das Gleichgewicht bis zum Kleinhirn weniger präzise reguliert, was das Sturzrisiko erhöht.
Knochen ist ein mineralisiertes Gewebe, abnehmend elastisch, wasserhaltig und bis zu eine gewissen Spannung auf Druck und Zug verformbar. Die Aktivität der aufbauenden Osteoblasten nimmt später ab, während abbauende Osteoklasten aktiver werden. Das führt zu einem Verlust an Masse und Dichte, wodurch die Knochen brüchiger werden. Ein Bruch des Hüftgelenks war früher für Ältere oft lebensbedrohlich. Längere Bettruhe führte zwangsläufig zu Muskelschwund, Knochenabbau, Entzündungen der Gewebe, Trägheit von Lungen, Darm und Herzkreislauf sowie vom Stoffwechsel des Zuckers im Blut. Die schnelle Mobilisierung durch Gelenkprothesen hat die Prognose der Krankheit revolutioniert.

 

-  Aufgeklärte Leute betrachten Gelenke deshalb nicht mehr isoliert, sondern als Teil einer komplexen Nerven-Gefäß-Muskel-Faszien-Bänder-Kapsel-Organ-Funktion. In aller Welt lernen bereits die Schüler, dass Nerven  die medizinische Biologie koordinieren. Nervenzellen sind mit Synapsen miteinander verbunden, über die sie Signale senden und empfangen. In den biologischen Netzen handelt es sich um chemische Reaktionen. Künstliche Netze werden dagegen nur durch elektrische Schaltkreise simuliert und können damit Muster schneller als wir erkennen. Unsere Nerven bilden mit Gefässen, Muskeln, Knochen, Bändern und Gelenken eine untrennbare Einheit und die braucht ihre Zeit bis sie was wird.
Zudem durchziehen Faszien  den gesamten Organismus wie ein Gitternetz, binden zähe Flüssigkeiten und übertragen Kräfte nicht nur entlang der Muskeln, sondern auch quer zu benachbarten Strukturen. Faszien sind Teil des Bindegewebes, liegen einerseits wie ein Neopren-Anzug oberflächlich unter der Haut, bilden andererseits spannende Brücken zwischen den Regionen, wobei sie Muskeln und Organe durch feine Hüllen trennen und verbinden zugleich. Besonders zart an den Grenzen der Organe, besonders derb an den Übergängen zu Knochen. Größere Verbände werden auch in die Wahrnehmung und Wundheilung einbezogen.
Schon die normale Kraftübertragung passiert nicht nur über Muskeln und Sehnen an das Gelenk, sondern auch lückenlos zwischen bindegewebigen Segmenten sowie quer zu gegenläufig arbeitenden Muskelsträngen. Die tiefe Faszienspannung kann benachbarte Bänder und Gelenkkapseln verstärken, schädlichen Zug oder Druck auslösen und damit die feinen Nervenenden in äußeren Schichten aktivieren. Ihr seltsames Stellungsspiel ist noch ungeklärt.
Jedenfalls besteht die tiefe Faszie aus Schichten wellenförmiger Bündel aus kollagenen Fasern. Innerhalb jeder dieser Schichten sind diese Bündel untereinander parallel angeordnet, benachbarte Schichten zeigen jedoch verschiedene Richtungen. Jede dieser Schichten ist von den benachbarten durch eine dünne Schicht lockeren Bindegewebes getrennt, ähnlich dem Sperrholz.
Übersät von feinen Nervenenden, übernehmen Faszien an jeder schmerzlichen Entzündung teil. Bei anhaltender Entzündung nimmt die Dichte  der feinen Schmerzfühler, der Noziceptoren, noch deutlich zu. Außerdem gibt es eine Menge elastischer Fasern, was eine Funktion der tiefen Faszie für unsere Tiefensensibilität wahrscheinlich macht. Die sehnigen Muskelinsertionen halten die Faszie in einer Grundspannung und schaffen eine Kontinuität zwischen den einzelnen Muskeln, jeweils der Beuge- und Streckgruppen. Dank der wellenförmigen und elastischen Faserbündel  kann sich die Faszie an Dehnungen anpassen. Dies ist allerdings nur in Grenzen möglich, jenseits derer weitere Dehnung die feinen Nerven und damit Schutzreaktionen aktiviert.
Es ist nachgewiesen, dass die Faszie sowohl Kontraktionen der Muskulatur wahrnehmen kann, als auch an der Übertragungen dieser Energie auf  Knochen und Gelenken beteiligt ist. Somit ist der Verdacht bestätigt, dass die tiefe Faszie bei jeder Bewegung mit dabei ist und sie wohl auch beeinflussen kann. Wenn wir aufrecht stehen, haben wir ständig feine Oszillationen, welche über die Fascie auch die Muskelspindeln dehnen. Die passive Dehnung der Muskelspindeln ermöglicht die Aktivierung der Kontraktion der betreffenden Muskelfasern. Dieser Mechanismus hilft der korrekten Körperhaltung ausschließlich aus peripherer Kontrolle, ohne Beteiligung höherer Zentren. 
Die Gleitfähigkeit der einzelnen Schichten gegeneinander kann sich durch Verdichtung oder Fibrosierung verändern. In solchen Fällen geht der elastische Mechanismus der Faszie für die Nerven-Endigungen verloren, was fälschlich zu einer Erregung der Schmerzfasern innerhalb der Faszie auch unter normaler Belastung führt. Da das Gewebe sogar zum größten Teil aus Wasser besteht, wird jede visköse Veränderung in diesem flüssigen Element erhebliche Auswirkung auf die elastische Funktion haben. Es besteht heute kein Zweifel mehr, dass die Muskel-Faszie eine wichtige Rolle in der Haltung und Bewegung, aber auch in der Entwicklung nicht-spezifischer Schmerzen, besonders des chronischen Rückenschmerzes spielt.
 Die  Kraftentwicklung entsteht aus dem spontanen Zusammenspiel vieler Muskelfasern, welche einzeln nur kleine, aber gemeinsam wirksame Bewegungen erzeugen. Die Kraftübertragung über myofasciale Ketten ist ebenfalls ein emergentes Phänomen, das sich ebenfalls nicht allein aus den Eigenschaften einzelner Muskeln erklären läßt.

 

- Die meisten Störungen  dieser Funktion, jetzt myofasciale Dysfunktion  genannt, sind schmerzhaft. Alle Vorgänge, die etwas mit der Leitung und Verarbeitung von Schadreizen aus den myofascialen Geweben zu tun haben und unterhalb der Großhirnrinde im zentralen Nervensystem liegen, gehören zum Gebiet der Noziception. Damit ist eine Kette von Verschaltungen potentiell schädlicher Reize gemeint, die aus mechanischen Druck oder Zug, aus übermäßiger Temperatur oder aus chemischen Einflüssen infolge Gewebestress entstammen. Die Sensoren dafür, die Noziceptoren, sind freie Nervenendigungen, die überall im peripheren Gewebe verteilt stecken. Diese Schmerzfühler registrieren das Vorliegen eines Schadreizes, leiten diese Information dann physicochemisch in das Rückenmark. Dort verschalten weit aufgestellte Nerven die einlaufenden Signale und senden sie aufsteigend über weitere Schaltzentren von Stammhirn und Thalamus zur Hirnrinde.
Bis der Schmerz von dort aus irgendwie  in das Bewusstsein eintaucht. Die Wege bis zur Wahrnehmung von Signalen sind gut erforscht und dienen als Blaupause für Roboter. Es hat aber noch nie jemand gesehen, wie ein physikalischer Reiz als Botenstoff verkleidet in das Seelenleben hüpft und von dort wieder zurückspringt.

- Wenn Muskelkraft oder Kontrolle nicht stimmt, können Schutzreaktionen vorliegen. Das Nervensystem bremst bestimmte Muskeln ab, etwa den Oberschenkelmuskel bei Knieschäden. Das ist zunächst ein sinnvoller Schutz, um Gelenke aus der Gefahrenzone zu holen, kann aber zu lange anhalten. Die Muskeln sind dann nicht schwach, sondern verstört und mit der Blutversorgung in ihren bindegewebigen Hüllen gedrosselt. Es ist, als würde der Organismus eine Sicherung herausdrehen. Das feine Gitternetz aus Bindegewebe, die Faszien, wird weniger geschmeidig. In der Rückmeldung arbeiten die tiefen Rückenmuskeln nicht mehr optimal gegenläufig zusammen, woraus zusätzlich asymmetrische Verspannungsketten von Kopf bis Fuß entstehen. Die feinen Nervenenden im Geweben setzen Schmerzchemie frei, was zu Schwellung und weiteren Entzündungsreaktionen führt. Das betroffenen Gewebe wird überempfindlich und schlecht durchblutet.

- Die Störung der myofascialen Funktion ist im autonomen Nervensystem  verankert und mit Zellen der Immunabwehr im direkten Kontakt. Die nozizeptiven Signale lösen nicht nur Schmerz, sondern fordern unsere umfassende Fähigkeit zu  Hemmung  und Erregung  heraus, die sich örtlich sowie zeitlich unterscheiden und der bewussten Kontrolle weitgehend entziehen. Wechselwirkend regulieren Nerven die Muskeln durch Signale, die entweder erregen oder hemmen. Ein fehlendes Gleichgewicht in diesem Reizverkehr, durch was auch immer, führt zu einer Fehlfunktion im Segment oder Gelenk.
Die segmentale Hemmung  ist eine lokale, auf eine Rückenmarksebene begrenzte Reaktion. Dabei werden die autochtonen Muskeln im betroffenen Abschnitt reflexartig gehemmt, was den Gelenkpartner erregt. Das führt zu einer vorübergehen Schwächung der Muskelspannung. Zweck ist es, den schmerzenden Bereich zu entlasten und vor weiterer Belastung zu schützen.
Die arthrogene Hemmung  ist eine Schutzreaktion, die speziell bei Gelenkschmerz oder Verletzung auftritt. Durch Schmerzrezeptoren, die im Gelenk selbst liegen, werden gelenkstabilisierende Muskeln reziprok gehemmt. Die Muskelkraft zum Gelenk nimmt ab, ohne dass der Muskel selbst verletzt ist.
Diese reflexartigen Reaktionen können zwar kurzfristig helfen, führen jedoch mittelfristig zu weiteren Schutzmechanismen des gesamten Organismus. Eine umfassende reflexartige Antwort, die asymmetrisch über mehrere Segmente der Wirbelsäule hinweg erfolgt und den gesamten Organismus beansprucht, nennt man jetzt in den Leitlinien für Rückenschmerz, in Anlehnung an osteopathische Diagnosen, myofasciale Dysfunktion. Der Körper reagiert auf anhaltenden Schmerz mit weitreichenden Anpassungen. Muskeln und Faszien in verschiedenen Körperbereichen verändern ihre Spannung. Es entstehen kompensatorische Bewegungsmuster und Haltungsveränderungen. Mit der Zeit können schmerzhafte Verdichtungen der bindegewebigen Hüllen entstehen, welche sich wie ein Flächenbrand entzündlich ausbreiten können und die gesamte Gelenkkette aus der Position ziehen. Diese Veränderungen können sensitivieren und chronisch werden und damit selbst neue Schmerzquellen eröffnen.
Die absteigende Schmerzhemmung  ist ein natürlicher Lautstärkeregeler für Schmerzsignale. Es handelt sich um einen Mechanismus, bei dem das Gehirn die Schmerzreize auf ihrem Weg vom Entstehungsort in Muskelfaszien oder Gelenkkapseln zum Bewusstsein abschwächen oder verstärken kann. Dabei sendet das Gehirn die einlaufende Reizflut zurück über spezielle absteigende Nervenbahnen zum hinteren Teil der Rückenmarksegmente, wo sie neu reguliert werden: abgeschwächt, also gehemmt oder verstärkt, also erregt. Dazu werden die entsprechenden Botenstoffe ausgeschüttet. Besonders bei chronisch sensitivierten Schmerz im Muskelskelett ist dieser Schutzmechanismus gestört. Entweder ist die Hemmung auf den absteigenden Bahnen vermindert oder die Nerven werden nervös und überempfindlich: entweder werden harmlose Reize als schmerzhaft, allodyn, wahrgenommen oder normalerweise schmerzhafte Reize werden noch intensiver, hyperalgetisch, empfunden. In solchem Drehkreis lernt der Körper den Schmerz und die gesamte Noziception wird effizienter und reagiert schneller und stärker. Bereiche im Gehirn, die für die Schmerzverarbeitung zuständig sind, werden noziplastisch.
Das vegetative Nervensystem  arbeitet dabei über seine sympathischen und parasympathischen Anteile synchron wie ein unsichbarer Regler und steuert automatisch Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag, Verdauung und Muskelspannung. Es reagiert drinnen auf Stress und Gefahr, auch wenn draussen nichts los ist. Es sorgt dafür, dass bei Verletzungen oder starkem Schmerz im Muskelskelett nicht nur der Schmerz abgeschwächt wird, sondern auch der Organismus in einen Schutzmodus wechselt, um bestmöglich zu reagieren. Sympathische Nerven verstärken diese Empfindlichkeit durch Ausschüttung erregender Substanzen, drosseln die Blutzufuhr im lokalen Gewebe und arbeiten mit den Immunzellen unmittelbar zusammen. Parasympathische Nerven aktivieren diese Hemmungsprozesse durch Ausschüttung hemmender Substanzen. 
Kurzfristiger Stress aktiviert diese Schutzreaktionen, während chronischer Stress zu anhaltender Fehlregulation führt. 

- Oft bleiben die Störungen der myofascialen Funktion in einer zirkulären Schleife bestehen, erhalten sich selbst bestätigend aufrecht und sind dann Ursache und Folge von chronischen Schmerzstörungen. Ein wichtiger Partner ist dabei der Lagesinn. Die Tiefensensibilität, Propriozeption genannt, teilt uns mit, wo und in welcher Position sich unsere Muskeln und Gelenke gerade befinden, wohin sich Arme und Beine gerade bewegen, wieviel Kraft aufzuwenden ist, um etwas zu heben oder drücken und hilft, das Gleichgewicht zu halten. Die meisten Bewegungen laufen unbewusst ab, weil das Gehirn ständig Rückmeldungen bekommt.
Bei myofascialen Störungen kommt es zu veränderter Gewebespannung und fascialer Struktur. Diese Veränderungen werden von den propriozeptiven Rezeptoren erfasst und zu neuen Bewegungsmustern verleitet. Langfristig bestehen biomechanische Anpassungen, die weitere Schadreize begünstigen, womit eine gesteigerte Empfindlichkeit eintritt, die zentrale Sensitivierung. Man muss sich von sich so einiges gefallen lassen. 

 

- Die Entdeckung der neurogenen Entzündung  hat das Verständnis von Schmerz enorm verändert, weil dieses Phänomen eine entscheidene Rolle bei chronischen Schmerzen, Arthrose, Arthritis  und vielen anderen Erkrankungen spielt. Allmählich wurde klar, das Schmerzen nicht nur durch erkennbare Gelenkschäden entstehen, sondern meist durch die vielen kleinen Nervenfasern im Gewebe selbst beeinflusst werden.
Direkt nach einer Verletzung setzen feinste Nervenenden im Gewebe wichtige Botenstoffe frei, die eine örtliche Entzündungsreaktion auslösen, selbst wenn keine Infektion vorliegt. Dadurch erweitern sich die Blutgefäße, um mehr Immunzellen an die Stelle zu bringen. Das ist die erste Verteidigungslinie, in der bestimmte Zellen auf das Problem aufmerksam werden, weil sie auf ihrer Oberfläche Rezeptoren tragen, die Moleküle von geschädigten Zellen oder Viren, Bakterien, Pilzen erkennen. Es kommt zu Schwellung, Wärme, Rötung und Schmerz. Das ist normal und zeigt, dass der Organismus arbeitet. Die Immunzellen beseitigen beschädigtes Gewebe und setzen weitere Botenstoffe frei, die die Selbstregulation  starten. Die beginnt gleich mit der Bildung neuer Gewebe. Zellen des Bindegewebes produzieren Kollagen, das als Kleber für das neue Gewebe dient. Neue Blutgefäße entstehen, um dafür Nährstoffe heranzuschaffen. So beginnt jede Heilung im Muskelskelett mit einer feingeweblichen Entzündung. Dabei ist jeder Nociceptor nicht nur ein passiver Sensor, sondern beeinflusst auch aktiv die Microzirkulation in seiner Umgebung.
Entzündungen muss man also nicht nur negativ sehen, sondern als erste Reaktion auf Meldung der Immunabwehr und Signal für notwendige Veränderungen.
 

- Umgekehrt kann der noziceptive Sensor durch die Ausschüttung von Schmerzchemie sensibel hocherregt werden. Dann benötigt diese Sensitivierung  ihrerseits eine Heilung.
Wenn Muskeln oder Faszien verletzt oder überbelastet sind, schütten sie an der peripheren Stelle chemische Substanzen wie Prostaglandin, Bradykinin und Wachstumsfaktoren aus, welche Ionenkanäle in den Zellwänden öffnen. Dieser Entzündungscocktail senkt die Erregungsschwelle der Nerven und macht sie damit empfindlicher. Dadurch können selbst leichte Berührungen oder Bewegungen Schmerzen verursachen. Zusätzlich kann es zu spontanen Attacken kommen, weil die Noziceptoren auch ohne äusseren Reiz aktiv werden.
Bei dem Eintreffen im Rückenmark und Gehirn führt der anhaltende Schmerzreiz zu einer Übererregbarkeit der dort arbeitenden Nervenzellen. Diese werden aufmerksamer und reagieren stärker auf Schadreize oder senden sogar Schmerzsignale ohne eigentlichen Reiz. Das passiert durch Veränderungen an Synapsen, wo andere Botenstoffe die Signalübertragung verstärken. Diese zentrale Sensitivierung  kann das Schmerzempfinden ausdehnen und auf andere Bereiche übertragen.
Für Muskeln und Faszien gehört die Acidose, eine reduzierte Durchblutung  und Übersäuerung  im Gewebe vor Ort, mit Freisetzung von Protonen, energiereichen Phospaten und Wachstumsfaktoren, zu den hauptsächlichen Schmerzreizen. Ihre Konzentration verstärkt dann die Empfindlichkeit der umliegenden Gewebe weiter. Das trägt zur Aufrechterhaltung von Schmerz bei und verstärkt wiederum die periphere Sensitivierung.
Produzieren die Nozizeptoren dauerhaft eine stärkere Antwort auf einen überschwelligen Reiz, spricht man von Hyperalgesie. Reagiert der Noziceptor dagegen chronisch auf einen Reiz, der normalerweise nichts sonderlich erregen würde und damit unterschwellig ist, wird dieser Zustand im Konsens der Fachleute als Allodynie  bezeichnet.
Das ist der Beginn einer langen Alarmbereitschaft.

 

- Schmerz ist ein Gefühl,  obwohl es physiologisch keins ist. Der alte aufklärende Leitgedanke, ich denke, also bin ich, bezieht sich auch auf die Wahrnehmung von Schmerzreizen. Aber war als Leitidee für das, was wir heute unter Bewusstsein  verstehen, zu eng gefasst, weil damit nur die unmittelbare Gewissheit, dass man existiert wenn man denkt und fühlt, beschrieben ist. Außerdem wird durch diesen Grundsatz der Wahrheitsfindung, auf dem alle weiteren wissenschaftlichen Überlegungen aufbauten, die Rolle des Geistes übertrieben und der Körper auf einen Substanzbrocken reduziert. Die moderne Wissenschaft vom Geist fächert deswegen unser " Mitwissen " von dem, was drinnen und draussen so passiert, weiter auf:  in Empfinden, direkt vermittelt durch die Sinneseindrücke, die durch Ohr, Auge, Nase oder Tasten hereinkommen. In Wahrnehmung, welche noch den Reichtum der Vorerfahrungen und Erinnerungen in die Bewertung von Sinnesreizen mit einschließt. In das bewusste Erleben, nämlich wie es ist und sich anfühlt, Rot zu sehen, Musik zu hören oder Schmerzen zu haben. In Kognition, was als unsere besondere Fähigkeit, über Anfang und Ende nachzudenken, verstanden wird. In Emotionen, denn körperlich spürbare Gefühle wie Suche, Angst, Panik, Wut oder Neid, die für unser Wohlbefinden bedeutsam sind ohne darüber nachdenken müssen, sind immer bewusst, sonst sind es keine Gefühle.
 

 

 
 

 

 

 

 Ärzte und Patienten suchen oft nach einer klaren Ursache für Beschwerden, etwa einem Riß, Bruch oder einer Entzündung. Diese Denkweise ist geprägt vom Prinzip: Ein Defekt wie Bandscheibenvorfall oder Meniscusriß verursacht ein Symptom, wie Rückenschmerz oder Knieschwellung. Das Ziel ist, das defekte Teil zu finden und zu reparieren. Myofasciale Dysfunktionen sind meist keine sichtbaren Strukturdefekte, sondern Störungen im Zusammenspiel zwischen Muskel, Faszien, Nerven und Immunsystemen. Die Symptome, wie Bewegungseinschränkung, Gewebeempfindlichkeit, entstehen durch zahlreiche stressige Faktoren, ohne dass ein eindeutiger Schaden im Gewebe nachweisbar ist. Oft liegt der Ort des Schmerzes nicht direkt am Ort der Störung. Die Symptome sind das Ergebnis vieler kleiner Faktoren, die sich summieren
 

 

- Seit je ist es Brauchtum der Funktionäre, Leitlinien  zu erfinden. Funktionsstörungen als diagnostisch krankhaft und symptomatisch klar abgrenzbare Einheit, als eine Entität  zu erklären, ist nicht einfach. Aber funktionell sind Störungen immer dann, wenn sie räumlich nicht  Ausdruck einer Schädigung von Gelenken, Segmenten, Organen, Muskeln oder Nerven, aber zeitlich irgendwo auf dem Weg dahin sind.
Der Begriff „ myofasciale Dysfunktion „ wurde von den Fachgesellschaften, welche sich mit den Beschwerden am Muskelskelett befassen, vor allem Orthopäden, Neurologen, Chirurgen, Rheumatologen und Psychologen, nun in den Leitlinien zur Behandlung spezifischer  sowie unspezifischer  Beschwerden an der Wirbelsäule eingeführt. im Internet unter "register.awmf.org " schnell erreichbar. 
Und stehen auf gleicher Ebene neben den strukturellen Defekten, wie neurologische Nervenschäden, degenerative Gelenkschäden, verengende Wirbelsegment-Schäden, rheumatische Immunschäden und angeborene Fehlstellungen mit den jeweiligen Therapieoptionen rezeptiert wurden.
Und nachdem die amerikanische osteopathische Medizin die schmerzhaften Funktionsstörungen am Muskelskelett  bereits traditionell als „somatic dysfunktion“ bezeichnet hatten, wenn kein Schaden erkennbar, aber das Gewebe fühlbar empfindlich, asymmetrisch verzogen, restrikt und entzündlich verändert erschien. 
Und es auch hierzulande langsam dämmerte, dass die bindegewebigen Hüllen der Muskeln und Organe kein träges Gewebe, sondern das körpereigene Fasziennetz  wahrscheinlich unser reichhaltigstes Sinnesorgan mit mehreren hundert Millionen feinster Nervenenden ist.
Und spürbar mit dem vegetativen Nervensystem  und dessen Regulation von Muskelspannung und Blutstrom sowie mit dem Immunsystem und der Dosierung von Entzündungsreaktionen, im unentwegten Austausch von Informationen  über den Zustand des Milieus steht.
Und weil die Idee, dass nicht nur das Gehirn, sondern auch der gesamte Organismus sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit umformt, im Einklang steht mit dem Konzept von Homöostase, Plastizität  und Resilienz.

 

 

 

- Für die Behandlung  der myofascialen Funktionsstörungen  sind nicht nur Hemmung und Erregung der Muskeln wichtig, sondern das therapeutische Interesse umfasst auch die Faszien als mechanische Informationsträger, die Grundsubstanz mit ihrer Sol-Gel Charakteristik, das vegetative Nervensystem als dynamisches Regulationssystem, die Immunabwehr als mobile Komponente, das Hormonorchester als chemischer Informationsträger und die arterielle und venöse Mikrozirkulation als Transport und Versorgungssystem. Vieles deutet darauf hin, dass hier verschiedene neurophysiologische Mechanismen parallel ablaufen, die weder im Blutbild, noch in elektrochemischen Messungen oder gar im bildgebenden Verfahren gezeigt werden können.
- Störungen in dem Wechselspiel von Muskel und Faszien können lokale Beschwerden  verursachen und das freie Gelenkspiel begrenzen. Während früher Rückenschmerz als anatomisches Problem betrachtet wurde und der Focus auf Schmerzbeseitigung durch medikamentöse oder operative Eingriffe lag, ist heute ist heute anerkannt, dass psychologische und soziale Faktoren ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.  Die Kombination aus körperlichem Training, Verhaltensänderung und Aufklärung der Entstehungsgeschichte wird angestrebt und verdrängt die passive Rolle zugunsten aktiver Teilnahme an dem Desensitivierungsverlauf.

Da das Nervensystem die Schmerzsignale auf verschiedenen Ebenen hemmen kann, ist bei chronischen Beschwerden die Verlängerung der Beugeketten gestört und manche Bereiche im Muskelskelett sind überempfindlich geworden. Dadurch zeigt sich für die Behandlung mit Bewegungen an dieser Stelle die entscheidende Pointe :
selbst eine exzellente und stets geübte Muskelintelligenz eines Modellathleten vom Kaliber eines Nurejew  könnte die Fehlfunktionen im Muskelskelett durch willkürliche Muskelkontrolle nicht direkt durchbrechen und sich nicht aus der Dysfunktion heraustanzen, da diese auf anderen Nervenbahnen, Transportwegen und Signalkanälen rückkoppelt. Es wäre vergleichbar mit dem untauglichen Therapie-Versuch, durch bewusstes Atmen den eigenen Herzrhythmus direkt zu stabilisieren. Auch dort funktionieren die Systeme auf unterschiedlichen Regelkreisen.

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- Wie alle Zellen, wird mit der Zeit auch die Zelle des Bindegewebes alt. Das heisst, der Fibroblast  hört auf sich zu teilen. Da nur die Krebszellen unsterblich sind, muss in dem Mechanismus des Zellalterns  das biochemische Geheimnis der Alterssteife verborgen sein. Eingeweihte Kreise sprechen von replikativer Seneszenz., wobei die Anzahl der alternden Zellen im Gewebe während der normalen Alterung ansteigt. Da diese Zellen noch ihren Stoffwechsel beibehalten, wirken sie immunreaktiv und entzündungsfördernd.
Bei jedem Zellzyklus, der mit Fibroblasten bis zu 50mal stattfinden kann, verkürzen sich beide Endstücke unserer Chromosome, die Telomere, stückchenweise, wodurch die Anzahl der Zellteilungen begrenzt wird. Diese Verkürzung der Telomere trägt zur Dysfunktion des Gewebes und damit zu chronischen Krankheiten und Zelltod bei.

 

- Es ist jedoch, Evolution sei Dank, nicht alles in den Genen festgelegt und nicht alles gleich, bloß weil es so ähnlich erscheint. Preisgekrönte Forscher zeigen auf ein Enzym, Telomerase  genannt, dass gar nicht vorzeigbar ist, aber die Länge der Endstücken an unseren Genen kontinuierlich wieder herstellt und damit die Erbinformation bei Verdopplung der DNA während der Zellteilung erhält. Tatsächlich geht chronischer Stress mit kürzeren Telomeren einher, während regelmäßige körperliche Aktivität mit längere Telomeren korreliert. Auch ruhiger Schlaf und Mittelmehrkost zeigen parallele Zusammenhänge. Allerdings variieren die Messmethoden, die Informationen in den Genen selbst spielen ein wichtige Rolle und die Ursache-Wirkung- Logik ist in der Biologie zweifelhaft.
Während die Funktion der Telomerase gut belegt ist, bleibt unklar, womit wir wirksam unser Leben ändern sollen, um die Telomere bei Länge zu halten. 

 

Wer immer noch meint, Schmerz sei Bitten der Muskelzelle um reine Kraft, wird angeholt.
 

" - und was kann ich denn nun selbst tun? "

" Sei vorsichtig", schrieb ein unbekannter Verfasser, dessen Rezept 1692 in der alten St. Pauls Kirche in Baltimore gefunden wurde,
" Strebe danach, glücklich zu sein. Gehe behutsam Deinen Weg inmitten des Lärms und der Hast dieser Welt und vergiß nie, welcher Friede im Schweigen liegen kann. Lebe, soweit als möglich und ohne Dich selbst aufzugeben, in guten Beziehungen zu anderen Menschen.
Verkünde Deine Wahrheit ruhig und klar. Höre auch anderen zu, sogar Törichten und Unwissenden: auch sie haben ihre Geschichte. Meide laute Menschen, sie bringen nur Verdruß. 
Es ist möglich, dass Du entweder stolz oder verbittert wirst, wenn Du Dich mit anderen vergleichst, denn immer wird es bedeutendere und unbedeutendere Menschen geben als Dich selbst. Freue Dich des Erreichten genauso wie Deiner Pläne, doch sei auf jeden Fall demütig.
Über Vorsicht in Deinen Geschäften, denn die Welt ist voller Betrügereien. Verschließe Dich jedoch nicht dem Wert der Tugenden: viele Menschenstreben nach höheren Idealen, und das Leben ist voll von stillem Heldentum.
Sei Du selbst. Heuchle vor allem keine Zuneigung und spotte nicht über die der anderen. Trage freundlich die Bürde der Jahre und gib mit Anmut alles auf, was der Jugend zusteht.
Nähre die Kraft Deines Geistes, um plötzlichem Unglück gegenüber gewachsen zu sein. Viele Ängste entstehen aus Müdigkeit und Einsamkeit. Neben einer heilsamen Disziplin sei freundlich zu Dir selbst.
Du bist ein Kind des Universums, nicht weniger als die Tiere, Pflanzen und Sterne, Du hast ein Recht darauf, hier zu sein. Und die Kraft des Universums wird sich so enthalten, wie es sein muss, ob Dir das klar ist oder nicht.
Was immer Deine eigenen Bemühungen und Absichten sein mögen: halte Frieden mit Deiner Seele in diesem lärmenden Durcheinander des Lebens. Mit all ihrem Schein, ihren Kümmernissen und zerbrochenen Träumen ist diese Welt doch wunderbar. "

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

.....wird fortgesetzt und noch geordnet....

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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